Good Bye, Lenin!
Good Bye, Lenin!
Oliver Rahayel, film-dienst, Nr. 4, 11.02.2003
Am Film zur Wende haben sich schon einige versucht, doch besser als Drehbuchautoren und Regisseure scheinen Schriftsteller das Thema erfassen zu können. Wolfgang Becker lässt, als Westdeutscher, seine Geschichte im Schicksalsjahr 1989 in Ostberlin 1989 spielen. Zusammen mit Autor Bernd Lichtenberg hat er eine Parabel entwickelt, eine überaus konstruierte Folie, hinter der die jüngere deutsche Geschichte zum Vorschein kommt wie in einer Camera Obscura. Er geht damit einen radikal anderen Weg als die Realisten oder Komödianten, die haarscharf an so etwas wie ost-, west- oder gesamtdeutschem Lebensgefühl vorbeigeschrieben und -inszeniert haben, etwa Leander Haussman („Sonnenallee“, fd 33 876) oder Winfried Bonengel („Führer Ex“, fd 35 723). Im Sommer jenes Jahres ist Alex, 21, nicht wirklich politisiert. Mit der Bierflasche in der Hand setzt er sich am liebsten auf einen Spielplatz vor der Plattenbausiedlung und rätselt, was er mit sich anfangen soll. Nur weil das eben so Sitte ist in diesen Tagen, läuft er auf einer der vielen Demos mit, die Pressefreiheit fordern, wenn schon nicht den Fall der Mauer. Als ihn seine Mutter dort erblickt, die gerade auf dem Weg zum Palast der Republik ist, wo sie als Heldin der Arbeit geehrt werden soll, bricht sie mit einem Herzschlag zusammen. Erst acht Monate später wacht sie wieder auf – und erhält strenge Schonung verordnet. Was nicht einfach ist, denn inzwischen sind die DDR und der osteuropäische Kommunismus untergegangen, die Mauer gefallen und Deutschland vereint. Alex, seine Schwester und deren Freund beschließen, all das vor der Mutter zu verheimlichen. Sie bringen die bereits westliche gestylte Wohnung wieder in den Urzustand und quartieren die Mutter in ein Zimmer nach DDR-Art ein.
Es gib zahllose schöne und anrührende Details in dem Film: Wie gelangweilt Alex, mit bewundernswerter Unsicherheit gespielt von Daniel Brühl, bei jener Demo apfelkauend mitläuft, wie er verzweifelt HO-Produkte oder wenigstens deren Verpackungen zu besorgen versucht, wie er immer neue Ausreden findet, etwa für das Westfernsehen der Nachbarn und schließlich sogar für das Coca-Cola-Plakat vor dem Fenster. In schwierigen Fällen hilft ein Freund aus, der die absurdesten „Aktuelle Kamera“-Ausgaben für Alexs Mutter produziert und auf Video aufnimmt, damit sie „im Fernsehen“ laufen können. Doch Wolfgang Becker wollte, wie schon in „Das Leben ist eine Baustelle” (fd 32 448), nicht bloß eine Komödie drehen. Nach und nach bewegt sich sein Film auf allgemeinere Aussagen über die Wiedervereinigung zu, die etwas mit der Würde eines Ablebens zu tun haben und sich deshalb sowohl von Ostalgie als auch von jeder Siegermentalität abgrenzen. Gerade letztere ließ sich aus den Ossi-Wessi-Klamotten der 90er-Jahre immer wieder heraus lesen. Becker schuf ein warmherziges und hellsichtiges Werk, was ihm im Rahmen einer handelsüblichen Dramaturgie vielleicht nicht gelungen wäre und ihm bei der „Baustelle“ auch nur bedingt gelungen ist. Was das Potenzial des Films jedoch nicht ausschöpft, ist der Umstand, dass Becker immer einen Fuß auf der Bremse behält: bei den komödiantischen Anteilen, bei der Familiengeschichte, bei der historischen Dimension. Deswegen wird es bei ihm immer nur halbwegs witzig, anrührend oder bewegend. Stellenweise wird es geradezu ärgerlich: Musste es beispielsweise unbedingt der symbolträchtige Limonadenhersteller sein, der immer wieder auftaucht, wie bereits bei Billy Wilder vor 40 Jahren? Apropos Billy: weitaus treffender ist das Plakat mit dem gleichnamigen Bestseller-Regal von Ikea, das die verdutzte Mutter im Vorbeigehen sieht. Dennoch: Beckers Film ist eine ebenso unterhaltsame wie ernsthafte Annäherung aus an die DDR als Heimat und an das Phänomen Wiedervereinigung aus ostdeutscher Sicht.