Bertolt Brecht - Bild und Modell
Bertolt Brecht – Bild und Modell
Reinhard Lüke, film-dienst, Nr.17, 2006
Im Jahr 1956 brauchte man beim Berliner Ensemble für ein Programmheft dringend ein Hitler-Foto. Was in Ost-Berlin nicht eben einfach zu bekommen war und zudem eines langwierigen Genehmigungsverfahrens bedurfte, damit mit Bildern des Nazi-Diktators nicht konterrevolutionäres Schindluder getrieben werden konnte. In dieser Situation bot Bertolt Brecht an, dem Theater mit einem Hitler-Porträt aus seinen Privatbeständen auszuhelfen. So schickte man Peter Voigt, einen jungen Schüler und Assistenten des Dichters, zu Brechts Landhaus in Bukow, um das Foto abzuholen. Bei dieser Gelegenheit zeigte der Dichter dem 22-Jährigen eine 83 Seiten starke Mappe, in die er während seiner Exiljahre vor allem aus Zeitungen ausgeschnittene Fotos geklebt hatte – dokumentarisches Material, ähnlich dem, das Brecht kurz zuvor in seiner "Kriegsfibel" verwendet hatte. Die Mappe galt als verschollen, bis sie vor zwei Jahren wiederentdeckt wurde, zusammen mit einigen unversehrten Filmrollen, auf denen Dokumentationen von Brechts Theaterarbeit zu sehen sind. Mappe und Filme bilden die Basis für dieses Brecht-Projekt, das mit "Ein Kinoabend zum 50. Todestag" untertitelt ist.
Darin stellt zunächst Peter Voigt, der einst das Hitler-Foto bei Brecht abholte, die Bildermappe vor. Nachdem das Kameraauge lange auf dem schmucklosen Einband geruht hat, wird das Heft Seite für Seite durchgeblättert, wozu im Off Brecht-Texte oder Voigts Erinnerungen an jenen Vormittag zu hören sind. Überdies erfährt man, dass das blaue Papier der Mappe aus Brechts amerikanischem Exil stammen muss, da die Seiten nicht der europäischen DIN-Norm entsprechen. Eine Information, die für die Brecht-Forschung von Bedeutung sein mag, aber zur Verbreitung nicht unbedingt die Kinoleinwand bräuchte. Voigts Erinnerungen zeugen von großer Verehrung für seinen Lehrer und bewegen sich bisweilen gar am Rand zur unfreiwilligen Komik: "Warum hatte er, Bert Brecht, an jenem trüben Vormittag sich die Zeit genommen und einem 22-Jährigen seine ausgeschnittenen Fotos aus dem Exil vorgeblättert?" Während man unter dem Eindruck der als höchst bedeutsam vorgebrachten Frage noch spekuliert, ob sich der Dichter just in diesen Morgenstunden womöglich an einem dramatischen Wendepunkt seines Schaffens befunden haben könnte, kommt die Entwarnung: "Wahrscheinlich hatte ihm widerstrebt, dass der junge Assistent und Schüler lediglich für einen Botendienst zu ihm herausgekommen war nach Bukow." Ein netter Zug von Brecht. Könnte natürlich sein, dass er auf der Suche nach dem verlangten Hitler-Foto die Mappe nach längerer Zeit mal wieder zur Hand genommen hatte und einfach Lust verspürte, darin zu blättern, weil gerade nichts Dringlicheres zu tun war. Solche Vormittage soll es selbst bei berühmten Dichtern hin und wieder geben. Die zweite Hälfte des Films bestimmen Ausschnitte aus Aufnahmen, mit denen Brecht seine Theaterarbeit durch Kameras dokumentieren ließ, darunter Proben zu einer Inszenierung von J.M.R. Lenz’ "Der Hofmeister" am Berliner Ensemble im Frühjahr 1950. In den mit statischer Kamera im Einzelbildverfahren aufgenommenen Ruckelbildern sieht man Schauspieler, die sich stumm auf der Bühne bewegen, wozu im Off Brechts Notate zu einzelnen Szenen rezitiert werden. Auch hier gilt: Solche Dokumente mögen theatergeschichtlich von hohem Wert sein, sind aber ebenfalls nicht der Stoff, der im Kino für Furore sorgt. Was auch für das Gespräch über Brecht und die Medien zwischen Voigt und Erdmut Wizisla, Leiter des Berliner Bert Brecht Archivs, gilt, das quasi als Klammer dieser Brecht-Hommage dient. Letztlich hat das Projekt eher den Charakter einer (spärlich) bebilderten Seminararbeit und beeindruckt am ehesten eingefleischte Brecht-Exegeten.