Es ist eine alte Geschichte

DDR 1971/1972 Spielfilm

Drei neue DEFA-Filme. "Es ist eine alte Geschichte"


Peter Ahrens, Weltbühne, 10.10.1972


(…) Von ganz anderem Zuschnitt die "alte Geschichte", die Warnecke/Hüttner aus den bewußt zurückhaltend und vorsichtig montierten Beobachtungen über einige Medizinstudenten erzählen. Dort das weltbewegende Problem, hier betonte Alltäglichkeit zwischen jungen Leuten "ohne Rang und Namen"; dort Kaiserschnitt-Geburt und große russische Hochzeit, farbig, breit, wortreich, hier Nebenbei-Lakonismus, Fragment-Technik, die weder die Dreieckskonstellation des Mädchens Tini zwischen Udo und Tommy noch das allzu früh kommende Kind Dörtes oder die Schwierigkeiten der ehemaligen Schauspielerin Britta zu fabeltragender Dramatik hochstilisiert. Dabei gibt es erfreulich realistische Blicke in Gesichter, auf genaue Gesten des Kontakts oder der Verschlossenheit; die Straßen, die "Luft" der Stadt Leipzig, das Klima einer Studentenbude sind da, nichts ist schön ins Bild gesetzt, die von Warnecke in Äußerungen beschworene "wirkliche Wirklichkeit" ist da – aber: Was ist noch da? Ich halte nichts von Fragen der Art, ob die Studenten so sind, – wenn manche oder viele so sind, ja, wenn es diese acht gibt, kann es lohnen, von ihnen zu erzählen. Aber was wird erzählt, entdeckt, wie reich ist die Informationsskala, und: Wer erzählt?

Der Film verharrt und verfängt sich im Fragmentarischen; ich weiß im Parkett sehr bald nicht mehr, von wem ich warum wozu gebeten wurde; akustische Textschludrigkeit wirkt wie beabsichtigt; Wirklichkeitstreue erscheint als Teilnahmslosigkeit, gipfelnd in der Altersheimszene, die (ausgerechnet bei Warnecke!) auf die bloße Pointe hin erzählt scheint, statt in den Gesichtern der Alten gelebtes oder vertanes Leben zu entdecken als Kontrapunkt zum Suchen der Jungen. Warneckes Bescheidenheit vor der Wirklichkeit, sympathisch gegenüber jeder leichtfertig-routinierten Jonglierkunst mit dem Material der Realität, ist in Gefahr, zur passiv-polemischen, unproduktiven und unkünstlerischen Attitüde zu werden

"Wieder ein Film ohne Geschichte und ohne Sex", läßt er eine seiner Figuren sagen – aber welche gedanklichen Dimensionen, welche Positionen von Figuren und Schöpfern treten an die Stelle spekulativ-"kühner" Bettszenen und pragmatischer Fabelkonstruktion? Mit der konstruierten Dramaturgie darf nicht auch die Komposition, die geistige Organisierung des Materials über Bord geworfen werden. Weder "Der Belorussische Bahnhof" noch "Durchs Feuer führt keine Furt", weder "Andrej Rjubljow" noch "Die Singdrossel" folgen einer bequemen Dramaturgie. Aber sie sind organisiert, erst ihre vom Gedanken, vom Charakter bestimmte Komposition machen sie zu Kunstwerken, machen Wirkung, Emotion, Assoziation und das gewünschte und notwendige Weiterdenken überhaupt erst möglich.

Die Möglichkeiten einer dem Kintopp und der Vorkau-Dramaturgie feindlichen Methode dürfen nicht durch Genügsamkeit vertan werden. Was vor acht Jahren legitimer Versuch gewesen wäre, ist heute anachronistisch; das sogenannte Kleine braucht erst recht den großen Gedanken, es gibt keine Achtung vor der Realität ohne ihre bewußte Gestaltung.

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