Olle Hexe
Olle Hexe
Rolf-Ruediger Hamacher, film-dienst, Nr.07, 02.04.1991
Nach seinem in den 20er Jahren spielenden Kinder-Krimi "Kai aus der Kiste" (fd 28 534) versuchen Günter Meyer und seine Mitautorinnen sich diesmal an einem Phantasie-Märchen, bei dem offensichtlich auch Michael Ende Pate gestanden hat. Denn die Zeit spielt einen wesentlichen Faktor in dieser auch aktuelle Zeitbezüge ansprechenden Geschichte: Der etwa neunjährige Paul zieht mit seiner Mutter in eine neue Wohnung. Im Fahrstuhl trifft er die gleichaltrige Anna – und schon zankt man sich. Das ist ganz im Sinn einer bösen Hexe, deren Lebensuhr nur anhält, wenn Kinder sich streiten. So entführt der Fahrstuhl Anna und Paul ins Land der Hexe, das einer überdimensionalen Müllhalde gleicht. Dort treffen sie das von der Hexe geblendete sprechende Pferd Andante, finden einen Wecker, dem sie die Zeiger gestohlen hat, und begegnen dem Ritter Friedhelm, dem sie den Mut genommen hat. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum Hexenschloß. Denn nur, wenn sie die Hexe besiegen, finden sie den Weg zurück. Auf dem gefährlichen Weg lernen Paul und Anna sich langsam zu vertragen und verkürzen somit immer mehr das Leben der Hexe. Die greift zu tausend Listen und nimmt schließlich sogar Annas Gestalt an. Aber Andante merkt den Schwindel, und Paul befreit Anna aus ihrem Dornröschen-Schlaf. Schließlich verwandelt sich die Hexe in ein riesiges Spinnenmonster und attackiert die Kinder. Da fällt Paul der rettende Trick mit dem Kaugummi ein. Zurückgekehrt in ihre Welt, staunt der Hausmeister nicht schlecht, als aus dem Fahrstuhl nicht nur Paul und Anna steigen, sondern auch der wieder mutige Ritter mit seinem wieder sehenden Pferd und dem wieder vollständigen Wecker. Die "Olle Hexe", das ist nicht nur eine, die aus dem Streit anderer Vorteile zieht und sie somit, sobald die Rinder das erkennen, zur Solidarität "erzieht", die "Olle Hex" steht auch für die Zerstörung der Umwelt. Ihr Reich ist die ewig stinkende und qualmende Müllhalde und der von riesengroßen Augen und Ohren bewachte tote Wald. Ihre Versuchungen sind nicht die von gestern, sondern die Verlockungen unserer Tage: So lockt sie Paul und den Ritter in ein mit Spielautomaten und Fernsehern bestücktes Knusperhäuschen, um ihnen die Zeit zu stehlen. Der Film vereint so geschickt Gestalten und Motive aus der Märchenwelt mit den Alltagserfahrungen seines jungen Publikums. Seine phantastische Ebene regt die Phantasie der Kinder an, und da er einen sehr ruhigen Erzählrhythmus wählt, haben die Kinder Zeit, in die Geschichte und ihre Personen einzutauchen. So kommen die spannenden Momente für die Kinder auch nicht beängstigend plötzlich, sondern fast zwangsläufig entwickelt sich ein wohliges Gruselgefühl, das sie mit Paul und Anna um deren Errettung bangen läßt. Das sprechende Pferd, der kesse Wecker und der Ritter in Unterhosen lösen immer wieder durch spaßige Szenen die Spannung auf. Selbst die Hexe dient mehr zur Demonstration durchschaubarer Film-Tricks, als daß sie zum Fürchten ist. In dieses Konzept paßt dann auch das eher an ein Aufzieh-Spielzeug erinnernde Spinnen-Monster. Wie schon in „Kai in der Kiste“ gibt es auch hier einige zum Mitsingen animierende Lieder, die einen – wie das Pfeifen im dunklen Wald – vielleicht ein wenig von der Spannung befreien.