Elbe

Deutschland 2005/2006 Spielfilm

Elbe


Von Alexandra Wach, film dienst, Nr. 11, 2007

Filme über Männerfreundschaften sind ein immer wieder gern gewähltes Genre. Der Berliner dffb-Absolvent Marco Mittelstaedt, aufgewachsen in der DDR, nimmt in seinem nach "Jena Paradies" (fd 37 048) zweiten Spielfilm noch ein anderes dazu: Sein Road Movie (oder genauer: River Movie) verlegt er nach Ostdeutschland, wo zwei seit 20 Jahren befreundete Binnenschiffer ihren Job in einer Reederei verlieren. Auf einmal gilt es umzudenken, und je mehr Gero und Kowsky über ihr Leben nachdenken, desto williger passt sich die Filmsprache dem sanften Gleiten der Elbe und den vorbeiziehenden Landschaften an. Die Arbeitslosigkeit schweißt die Männer, die bisher kein großes Interesse an der Privatsphäre des jeweils anderen hatten, stärker zusammen. Plötzlich ist die Rede von der Familie: Kowskys Ehe ist am Ende, die Frau hat einen Liebhaber und der pubertierende Sohn nimmt ihn nicht ernst. Der introvertierte und wortkarge Gero hat seine 16-jährige Tochter noch nie gesehen, unternimmt erste Versuche, ihr näher zu kommen, und sehnt sich nach dem Halt, den eine Beziehung bieten könnte. Ohnehin könnten die Männer nicht unterschiedlicher sein. Der dürre Kowsky findet nirgendwo Ruhe, zockt und gaunert sich mit Tricks und Lügen durchs Leben und wählt Gero als seinen Ruhepol aus, der ihm auch schon mal finanziell unter die Arme greifen muss – obwohl Kowsky eine üppige Geldreserve mit sich herumträgt, deren Vorhandensein er dem gutmütigen Freund verheimlicht.

Der bodenständige, ehrliche Koloss nimmt eine Arbeit als Aushilfe im Gemüseladen an und lernt dort eine gleichaltrige, offenherzige Frau kennen, die seine Einsamkeit beenden könnte, wäre da nicht die Nervensäge Kowsky mit einer neuen Lügengeschichte vom lukrativen Job in Hamburg. Gegen besseres Wissen schenkt Gero seinem auf Weiterreise drängenden Freund Glauben und setzt die aufblühende Liebe aufs Spiel. Gemeinsam brechen sie von Dresden aus in einem Segelboot auf, das ihnen bald abhanden kommt, weil Kowsky einmal mehr sein Wort nicht hält und versäumt, die Raten zu begleichen. Es geht weiter in einem gestohlenen Ruderboot, zuerst behäbig und fast so idyllisch fern aller Alltagssorgen wie auf einer Urlaubsfahrt, bis Kowsky im Hinterzimmer einer Dorfkneipe einige Kleinkriminelle beim Kartenspiel abzockt und ein Drama heraufbeschwört.


Obwohl mit einer Digitalkamera aufgenommen, ist "Elbe" reich an wunderschönen Landschaftsimpressionen und langen elegischen Kamerafahrten an Brücken, Industrie-Ruinen und einsamen Inseln vorbei. Mitunter ein Zweipersonenfilm, erdet der abwechslungsreiche Folk-Soundtrack von Lars Löhn die Geschichte und entrückt sie zugleich mit seinem amerikanisch angehauchten Blues-Sound ins lakonische Universum der frühen Jim-Jarmusch-Filme. Mittelstaedt erzählt a-chronologisch mit fesselnder Natürlichkeit und lässt seinen Schauspielern freien Lauf. Mal schweigen sie sich am Lagerfeuer wie in einer Western-Parodie an, mal wirken sie mit ihrem Dialekt und den authentischen Dialogen wie das Personal eines Dokumentarfilms.

Ein Hauch von Wenders-Kino liegt über "Elbe", und auch Andreas Dresen spukt als Pate herum, bei dem sich der Regisseur gleich zwei Schauspielerinnen für Kurzauftritte ausgeliehen hat: Steffi Kühnert ("Halbe Treppe", fd 35 604) und Gabriela Maria Schmeide ("Die Polizistin", fd 34 839). Der eigentliche Magnet des kleinen, melancholischen und überaus sympathischen Films ist der titelgebende Fluss, die Bewegung, die Topografie. Ein beeindruckender deutscher Heimatfilm der anderen Art, stimmig in der Zeichnung des Milieus und einer sich unaufdringlich verzweigenden Handlung, hervorragend besetzt und reich an knapp skizzierten Szenen, die unaufgeregt und leise von existenziellen Momenten wie Weggehen, Suchen, Verlieren und Dazulernen erzählen.

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