Unterwegs

Deutschland 2003/2004 Spielfilm

Unterwegs

Ein Roadmovie von Jan Krüger


Rudolf Worschech, epd Film, Nr. 8, 02.08.2004

Viel gereist wird im neueren deutschen Kino. Die Menschen sind auf der Suche, nach Orientierung, nach Sinn, nach Sicherheit und Geborgenheit. Auch Jan Krügers erster Langfilm ist so etwas wie ein Roadmovie. Auf einem abgelegenen Campingplatz an einem See in Brandenburg verbringen Sandra, ihre kleine Tochter Jule und ihr Freund Benni die Sommerferien. Sie machen Bekanntschaft mit dem jüngeren Marco, der sie zu einer Fahrt ans Meer, an die polnische Ostsee überredet.

Dieser Marco ist ein Geheimnisvoller. In der ersten Nacht schlagen ihn zwei Rechtsradikale zusammen und nur das Einschreiten von Sandra verhindert Schlimmeres; keiner weiß, warum. Marco ist aber auch ein Eindringling und ein Versucher. Er schleicht sich förmlich zwischen das Paar, von Anfang an gibt es eine homoerotische Spannung zwischen ihm und Benni, beim Balgen um den Ball oder als er Benni eine Zigarette aus dem Mund nimmt. Marco wird von Sandra beobachtet, verhalten am Anfang, vehement am Schluss. Und Marco funktioniert als ein Katalysator, wie der mystische Fremde in Pasolinis "Teorema" (an den man bei Krügers Film unwillkürlich denken muss), der die Gefühle zum Tanzen bringt – nur dass Marco viel erdverbundener wirkt.

Denn das Pärchen Sandra und Benni wirkt nur auf den ersten Blick so vertraut miteinander. Irgendetwas stimmt nicht mit den beiden. Sonst würde Sandra sich nicht eines Nachts in Polen mit Marco auf das Motorrad setzen und heimlich einen Ausflug unternehmen und so den Konsens zwischen den dreien zerstören. Damit ist sie zu weit gegangen, das ist sicher. Aber was nicht stimmt, das erfahren wir nie, genauso wenig wie ihre Vorgeschichte oder ihre Motive. Krüger verzichtet auf jedes Psychologisieren; ihn interessiert das Unerzählte oder Unerzählbare, das Geheimnis in seinen Figuren. In "Unterwegs" erzählen die Figuren mehr durch die Interaktion mit ihrer Umgebung als etwa durch Dialoge, die nur sehr spärlich eingesetzt werden und an der Oberfläche bleiben. Das war schon in Krügers preisgekröntem Kurzfilm "Freunde" (in dem auch der Darsteller des Marco, Martin Kiefer, mitwirkte) so – das Coming-out brach sich Bahn durch Aktion und auch Gewalt.

Einmal gerät Sandra in eine polnische Hinterhof-Party, kauft sich ein paar Züge an einem Joint, schaut sich um. Viel steckt in ihren Blicken, Fremdheit ob der Umgebung, man merkt aber auch, wie es in ihr arbeitet, wie sie Veränderung herbeisehnt. Die DV-Kamera bleibt in diesem Film immer dicht an den Gesichtern der Figuren. "Unterwegs" ist Sandras Film, sie ist die Hauptfigur, hin- und herschwankend zwischen Bestimmtheit und Ziellosigkeit, einprägsam verkörpert von Anabelle Lachatte, die in "Das Weisse Rauschen" die Schwester von Daniel Brühl spielte.

Gegen Ende konkretisiert es sich doch. Benni legt zu Jules Geburtstag eine Travestie-Nummer hin und Sandra schläft mit Marco, im Wald, ein Quickie. Das wirkt auf der einen Seite wie ein Bruch in einem Film, dessen hohe Kunst bislang die Andeutung war. Gleichzeitig ist es aber auch ein Schlussstrich, nach dem nichts mehr sein wird wie vorher.

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