Allererste Liebe
Rosemarie Rehahn, Wochenpost, Berlin/DDR, 3.11.1978
Ich habe mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt im Kino. Der Film hat, ich sag"s mal auf altmodisch: Gesinnung und Herzenstakt und Charme und Poesie und eine helle Heiterkeit.
Eine Fabel hat er erfreulicherweise auch – verzeihen Sie die Abschweifung von derselben. Erzählt wird von Karoline mit den Sommersprossen und Robert, die einst eine heftige Kinderfreundschaft verband. Als sie sich jetzt im Ferienlager wiedersehen, sind sie vierzehn und fünfzehn, keine Kinder mehr, auch wenn Karoline ängstlich an ihren Rattenschwänzchen festhält, weil sie nicht erwachsen werden will.
Aus der unkomplizierten Kindheitsbeziehung wird das schöne schwierige Erlebnis der allerersten Liebe. Ein Kinderferienlager als Ort des Geschehens aber trägt nicht dazu bei, die Dinge einfacher zu machen. Angefangen bei den unpassenden Scherzen, mit denen die Kleinen sich seit je erfindungsreich in die Herzensangelegenheiten der großen Schulkameraden einmischen, noch nicht aufgehört beim Mißtrauen der leitenden Un-Pädagogin, die es leider immer wieder gibt, beim Klatsch und Tratsch irgendwelcher Un-Erwachsner.
Aufs angenehmste erwachsen erweisen sich zwei Lehrerstudenten, die der erwähnten Sportkanone beharrlich entgegenwirken und mit den jungen Leuten sogar eine Romeo-und-Julia-Aufführung wagen. Auch filmisch gesehen ein gewagtes Unternehmen, und daß es fast durchweg gelungen ist, verdient Beifall. Mir gefielen vor allem die kräftige Komik und der leise, liebenswürdige Humor im Spiel und um das Spiel. Was ist das z. B. für eine anmutige, erleichternde Auflösung der vorangegangnen heiklen Nackt-im-Gras-Szene zwischen Karoline und Robby, wenn die beiden jetzt auf den sicheren Brettern der Bühne, im Schutz der Öffentlichkeit ihren intimen Konflikt noch einmal und jetzt mit kitzelndem Spaß austragen, um nicht zu sagen genießen. Da fragt Robby-Romeo die Angebetete: "Ach, du verlassest mich so unbefriedigt?" Und Karoline-Julia fragt angelegentlich zurück: "Was für Befriedigung begehrst du noch?"
Ganz hübsch komisch, dieser Shakespeare – und eine, kleine Köstlichkeit der verstohlen prustende Blickwechsel der Darsteller Kareen Schröter, Schülerin, und Harald Rathmann, Lehrling in der Yachtwerft Köpenick. Hier und nicht nur hier wächst dem Film über die Persönlichkeiten der jungen Laiendarsteller ein
Stück Dokumentarismus zu, das der Regisseur feinfühlig zu nutzen weiß.
Für die Schauspieler dürfte das dokumentare Element eine Art Herausforderung gewesen sein. Hinreißend glaubhaft Barbara Dittus, Karolines Mutter, in der abgehetzten Mütterlichkeit einer alleinstehenden Werktätigen mit drei Töchtern und frühem Enkelkind. "Das halt ich nicht aus" – und hält es natürlich doch aus, wie viele, viele. Ein heiteres Kabinettstück mit Untertönen Christa Lösers forsche Lagerleiterin, in deren erstarrter Pädagogik man noch den schönen Schwung der fünfziger Jahre ahnt, zusammen mit der Tragik einer Stehengebliebnen. Überzeugend Hilmar Baumann als Robbys Vater, der gehobne Kader. Sympathisch Evelyn Opoczynski#P und Jan Bereska als die guten pädagogischen Geister des Lagers. Poetisch, sensibel die Kamera von Günter Jaeuthe.
Über Buch und Regie habe ich gesprochen, als von der Reaktion des Publikums die Rede war. Erwähnte ich schon den Szenenbeifall? "Es bleibt abzuwarten, wie es die jungen Zuschauer nehmen, ob uns ein Stückchen "Erziehung der Gefühle" gelingt." Meinte Regisseur Herrmann Zschoche nach den Dreharbeiten. Mir scheint, es ist den Filmleuten einiges in dieser Richtung gelungen. (…)