Super-Stau
Superstau
Raimund Gerz, epd Film, Nr. 4, April 1999
Der erste Sommer nach dem Fall der Mauer: Die beiden noch nicht vereinten Deutschlands rüsten auf zur ersten gemeinsamen Straßen-Schlacht. Während in Bayern die Familie Stocker ihren Reihenhausbesitz sichert, Checklisten anlegt und Stolperdrähte spannt, schraubt Friseurmeister Fritzi Pippig aus Freienwalde/DDR noch an seinem frisch erworbenen Gebrauchtgolf. Erfolglos, denn er ist – erste Lektion in freier Marktwirtschaft – einem westdeutschen Gauner auf den Leim gegangen. Fritzi Pippig und Ehefrau Viola müssen auf den Trabi von Fritzis Eltern zurückgreifen und diese dafür gleich mitnehmen ins ferne Bressansone. Hermann Pacholke aus Gelsenkirchen hat gezielter geplant: Seine Frau holt den rabenschwarzen Bergmann direkt von der Nachtschicht ab – um 18 Uhr geht die Fähre von Italien nach Korsika.
In einer furiosen Parallelmontage bringt Manfred Stelzer seine Protagonisten in ihren Fahrzeugen auf die Autobahn nach Süden, wo sie sich im Stau irgendwann alle begegnen werden: Stocker, der so viele Mühe auf die Logistik verwandte, dass die kleine Tochter fast vergessen worden wäre; die Pippigs, von deren Anhänger sich schon bald ein Teil des Gepäcks über die Autobahn ergießt; und Pochalke mit Familie, den der Gedanke an die verpaßte Fähre sichtlich an den Rand des Wahnsinns treibt.
Die Anreise zum Stau gestaltet sich zu einer Fahrt durch die ersten Kreise der Hölle; als sehe er die drohende Agonie der dramaturgischen Konstruktion bereits voraus, nutzt Stelzer die Gelegenheit, seine Story auf Touren kommen zu lassen, solange die Räder sich noch drehen: Ein größenwahnsinniger CB-Funker mischt die Verkehrsregeln auf, für deren brutale Durchsetzung der unnahbar in seinem Wohnwagen-Cockpit thronende Stocker sorgt; die Raststätte, mit Menschenschlangen vor den WCs, gleicht einer Müllhalde; man bewegt sich außerhalb der Zivilisation, oder – wenn man so will – auf deren höchster Stufe.
Das alles ist nicht neu und zudem fester Bestandteil manchen Satireprogramms, aber immerhin recht flott in Szene gesetzt. Doch mit dem beginnenden Stau gerät auch der Film ins Stocken, und es rächt sich, dass Stelzer dem ganzen keine rechte Geschichte zugrundelegt. Die Charaktere sind festgelegt, ihr Verhalten in der verschärften Stresssituation vorhersehbar. So sucht der Regisseur denn die klaustrophobe Situation zu einer Bestandsaufnahme gesamtdeutscher Befindlichkeit auszubauen – mit skurrilen Figuren aus allen deutschen Landen.
Die Gags sind teils recht unterhaltsam. Das liegt daran, dass Stelzer auf einzelne gute Darsteller zurückgreifen kann, auf die Kabarettisten Otfried Fischer, Achim Knejung und Horst Schroth, vor allem aber auf die Noch-DDR-Schauspieler Otto Mellies, Christine Schorn, Ulrich Anschütz und Petra Ehlert, die den Anflug von Tragik beisteuern, den jede Komödie braucht. Hier offenbaren sich auch die Schwäche in der Konzeption: eine Aneinanderreihung einzelner Gags ergibt eben noch keinen Film. Und für eine Satire fehlt dem "Superstau" der Blick in die Abgründe des ganz normalen Wahnsinns. Der Regisseur liebt seine Gestalten offenbar zu sehr, um sie wirklich ernsthaft aufs Korn zu nehmen. Und wenn man schließlich die bekannten Gesichter braungebrannt, kaum erholt und dennoch guter Dinge im Stau nach Norden stehen sieht, ist der Film von der Bosheit und Gnadenlosigkeit etwa eines Gerhard Polt immer noch viele Kilometer weit entfernt.