Harte Jungs
Harte Jungs
Claus Löser, film-dienst, Nr. 7, 27.03.2000
Die Idee, dass ein männliches Geschlechtsteil Eigenleben entwickelt und dem Träger durch ständiges Dazwischenreden viel Ungemach bereitet, stellt nicht gerade einen Geniestreich dar. Aber immerhin haben sich in Kino und Literatur schon Größen wie Roland Topor ("Marquis de Sade", fd 28 639) oder Alberto Moravia mit einem solchen Sujet befasst. Bernd Eichinger scheint ebenfalls von dieser Vorstellung besessen: Nach der von ihm produzierten und von Doris Dörrie vollstreckten Moravia-Verfilmung "Ich und Er" (fd 27 092) holt er nun mit "Harte Jungs" zu einer aktuellen Schulhof-Variante aus. Absurderweise wird auch hier im Abspann auf Moravia verwiesen - tatsächlich hat diese Komödie jedoch nichts mit dessen literarischer Verdichtung zu tun - ja, sie hat überhaupt nichts mit Kunst zu tun. Man stelle sich die schlimmstmögliche Variante teutonischen "Humors" vor - dieser Film wird sie noch übertreffen. Immerhin verblüffend, dass so etwas möglich sein kann. Wieder einmal stellt sich der Verdacht ein, Eichinger beabsichtige mit seinen Filmen, Deutschland in die 50er-Jahre zurückzuversetzen.
Ausgerechnet in Brechts Geburtsstadt Augsburg wurde die Handlung angesiedelt: Florian, heftig pubertierender Oberschüler aus kleinbürgerlichem Hause, wird eines Morgens von einer ihm fremden Stimme geweckt: sein eigenes erigiertes Gemächt meldet sich da zu Wort. Fortan will das Körperteil Einfluss auf Florians Alltag nehmen; in respektlosem Tonfall kommentiert es, wirft ein, witzelt, will vor allem eines: endlich einen Zugang zum anderen Geschlecht finden. In seiner Not vertraut sich der Schüler seinem besten Freund "Red Bull" an, der die Neuigkeit umgehend herausposaunt und damit allerlei Verwicklungen auslöst. Dennoch bahnt sich ein Rendezvous mit der Schulschönheit Leonie an, das gebührend vorbereitet sein will. Aus Angst, im wichtigen Moment zu versagen, entwirft "Red Bull" für seinen Freund einen erotischen Crash-Kurs, inklusive Lektüre des Kamasutra, Telefon-Sex und Bordell-Besuch. Aus letzterem wird zwar ebenso wenig etwas wie aus dem Treffen mit der angebeteten Leonie, aber die gewonnenen Erfahrungen werden Florians Leben für immer verändern. Als die Ehe seiner Eltern zu scheitern droht (seine Mutter verdächtigt den Vater, die häufigen Gespräche mit den 0190-Nummern geführt zu haben), bringt er sie wieder zusammen und erkennt in der lange übersehenen "grauen Maus" Lisa plötzlich jene menschlichen Werte, die eine echte Beziehung jenseits des puren Sex ausmachen.
In Moravias Erzählung "Ich und Er" verkörpert der sprechende Penis das berühmte "Es", in dem Siegmund Freud die archaische sexuelle Energie sah, die vom gesellschaftlich geprägten "Über-Ich" kontrolliert bzw. gebremst wird. Die Bemerkungen des Körperteils fungieren zudem als Modifizierungen des klassischen "Beiseitesprechens" - ein uralter theatralischer Verfremdungseffekt, der durchaus auch etwas mit Brecht zu tun hat. Bereits Doris Dörrie hatte in ihrer Verfilmung diese Methode missverstanden und lediglich als Anlass für psychoanalytisch gefärbte Situationskomik benutzt. Bei Rothemund/Eichinger nun ist das Verfahren nun vollends zum Zotenvehikel verkommen. Ihr Film ist ein einziger überlanger Herrenwitz, dessen chauvinistischer Stammtisch-Charakter nur nachlässig kaschiert wird. Hinter der behaupteten Freizügigkeit verstecken sich Doppelmoral und Lustfeindlichkeit. Schlampig nachsynchronisierte, an Debilität kaum überbietbare Dialoge, unverhohlene Appelle an Schadenfreude, Witzeleien über Rollstuhlfahrer und Schwule sowie dreiste Eigenwerbung (in den Augsburger Kinos laufen ausschließlich Constantin-Filme) komplettieren das Bild.