David
David
Leo Schönecker, film-dienst, Nr. 6, 20.03.1979
Der Film schildert nach authentischen Aufzeichnungen die Jugendjahre des Joel König während des NS-Regimes in Deutschland bis zu seiner Flucht nach Palästina. David Singer, Sohn eines Rabbiners, muß in Liegnitz die Schule verlassen und kommt nach Berlin, um in einer Nähmaschinen-Werkstatt zu lernen. Als sein Vater nach dem Reichspogrom verhaftet wird, kehrt er zu seiner Familie zurück, bis der Rabbi, trotz extremer Mißhandlungen nicht entmutigt, nach Hause entlassen wird und erst auf Drängen der nach Berlin geflohenen Familie die Ausreise anstrebt. David meldet sich zu einer landwirtschaftlichen Ausbildung, um ohne Aufsehen in ein anderes Land kommen zu können. Als ihn die Gestapo sucht und seine Eltern abgeholt werden, findet er mit seiner Schwester bei einem Schuster Unterschlupf, muß sich aber bald auf der Straße und im Bahngelände verstecken. Unter falschem Namen und ohne Judenstern erhält er Arbeit in einem chinesischen Restaurant und bei einem arischen Fabrikanten. Der einzige Ausweg ist im Herbst 1943 die Flucht in einem Güterzug nach Budapest.
Diese Geschichte, auf einige Etappen reduziert, läßt nur wenig die äußeren Umstände und Einwirkungen ahnen, denen die Juden im NS-Reich ausgesetzt waren. Sie ist aus einer engen, psychologisch unreifen Betrachtungsweise, der Erinnerung eines als Kind noch ahnungslosen Menschen erzählt. Das Ungeheure des Geschehens wurde wenig behandelt, nur angedeutet; eine historische Rekonstruktion war weder vom Chronisten noch vom gleicherweise betroffenen Regisseur angestrebt. Die Autoren teilten das Eingeständnis, daß sie nichts an historischen Erscheinungen und Zusammenhängen zu analysieren vermögen, was nur infolge direkter physischer Erfahrungen erlebt worden ist, aber – von einem deutschen Juden, der die Heimat seiner Sprache und viele Landsleute lieben lernte, ohne Heimat finden und behalten zu dürfen – geistig-seelisch noch nicht begriffen werden konnte. Sie unterscheiden sich daher in vielem von Überlebenden anderer Länder, "die von Deutschland nur Böses erfahren haben". Infolgedessen vertreten sie auch nicht die Anklage der Kollektivschuld, eröffnen jedoch dahingehend die Frage, wie es möglich werden konnte, daß Millionen Deutscher – trotz vieler guten Willens – geschwiegen haben.
Der Film schafft bei seiner unpathetischen, doch von echtem Gefühl beherrschten Darstellung Raum für einen weiter- und tieferfassenden Ansatz der Frage, wie Vorurteile und Haß entstehen und eskalieren können. Liegt dem "historischen" Verhängnis nur eine Kette von Ignoranz, Mißverständnissen, Eifersucht, Lügen und Rassenwahn zugrunde? Vor allem erheben sich nach diesem Film, der nicht nur beiläufig auch gute Taten gegenüber Juden zeigt, manche Fragen von allgemeiner Bedeutung, die über Einzelfälle hinausweisen und für das zukünftige Zusammenleben unterschiedlicher Menschen und Völker zu beachten sind – so auch zuerst die Frage, ob alle Menschen, die Juden denunziert, mißhandelt und ermordet haben, sie auch gehaßt haben.
Trotz bitterster Erfahrungen und also begründeter Skepsis haben Peter Lilienthal und Buchautor König dem dezenten, fairen Film, der an keiner Stelle konstruierte oder übertriebene Zeichen setzt, einen vielleicht überraschenden Optimismus eingegeben, der wegen seiner Indirektheit und angesichts der tragischen Umstände der Geschichte nicht leicht mitzuvollziehen sein könnte. Doch diese nicht nur am Schluß spürbare Grundhaltung des Films ist nicht einfach ein Merkmal spezifisch jüdischen "Gottvertrauens", das meistens ein erhebliches Maß an "Zweifel" begleitet – sie wird sichtbar in der Funktion der auch als exemplarisch zu verstehenden Familie Singer: der fast unbeirrbar rechtgläubige Vater verkörpert mit seiner naiv scheinenden "Gottestreue" eine familiär starke, stammesmäßige Treue, auf die er auch im Verhältnis zu fremden Menschen bauen möchte. Es ist eine der großartigsten und gleichnishaft bedeutendsten Szenen des Films: Der Vater versucht, den erlittenen Schmerz in seiner Familie herabzuwerten, die Seinen nicht wahrnehmen zu lassen, um sie nicht zu erschüttern und zu entmutigen.
In diesen Augenblicken zeigt sich jedoch nicht nur seine selbstlose Liebe, nicht allein selbstvergessene Opferbereitschaft, sondern auch ein schwerwiegender Mangel an politischem Vorstellungsvermögen, an Kenntnis der Lage, an Kenntnis unmenschlicher Bewegung, die keine höhere Ordnung und Macht anerkennt als sich selbst. Hier läßt der Film die Lehre ziehen, daß selbst tiefes Gottvertrauen, Treue, Liebe und Geborgenheit einer intakten Familie in existentiell äußerst bedrohlicher politischer und sozialer Not nicht genügen kann, die Pflicht der Selbstverteidigung und gegenseitigen Schutzes auszuüben, wenn eine Gruppe oder Gemeinschaft nicht auch politisch reif und wachsam ist, um zusammen mit anderen zu Gegenmaßnahmen geforderten und verpflichteten Gruppen entsprechend planen und handeln zu können. Der Film zielt dabei auf das für einen gesicherten Weltfrieden vorrangige Problem, das Juden und Christen in Momenten weltweiter Konflikte bisher nur zu Bruchteilen haben lösen können: in ausreichendem Maße geschlossenen Widerstand gegen Machtmißbrauch und Unterdrückung zu bilden.