Dieses Jahr in Czernowitz
Dieses Jahr in Czernowitz
Wilhelm Roth, epd Film, Nr. 6, 03.06.2004
Vor sechs Jahren hat Volker Koepp in der Stadt Czernowitz in der Bukowina, eine Landschaft, die heute halb zu Rumänien, halb zur Ukraine gehört, den Film "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" gedreht, das berührende Porträt zweier Menschen, die zu den wenigen überlebenden Juden in Czernowitz gehörten (epd Film 4/99). Der Film war auch ein Porträt der Stadt selbst und eine Beschwörung ihrer einst reichen jüdischen Kultur.
Es zeichnet den Dokumentaristen Koepp aus, dass er Landschaften und Orte, an denen er einmal gedreht hat, immer wieder aufsucht und auch zu den Menschen, die vor seiner Kamera standen, Kontakt hält. Bei "Czernowitz" war das nicht anders, und auch nach dem Tod von Herrn Zwilling und Frau Zuckermann hat ihn die Stadt nicht losgelassen. Aber sein neuer Film hat einen völlig anderen Ansatz. Diesmal suchte Koepp nach Menschen, die einst hier lebten oder deren Vorfahren aus der Bukowina stammten. Viele frühere Czernowitzer leben heute in der Emigration – die Stadt hat fast alle Schrecken des 20. Jahrhunderts erlitten, den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Besatzung und Judenverfolgung und schließlich den Stalinismus.
Ursprung Czernowitz: Koepp hat in Berlin einen Cellisten aufgetan sowie zwei Schwestern in Wien. Vor allem aber den rumänischen Schriftsteller Norman Manea, der heute in den USA lebt und arbeitet, und den Schauspieler Harvey Keitel, dessen Mutter aus der Bukowina stammte. Manea geht wie ein Fremder durch den Film. 1936 geboren, hat er seine Heimat gleich zweimal verlassen (müssen): als Kind wurde er nach Auschwitz deportiert, und 1988, unter dem Ceausescu-Regime, emigrierte er in die USA, wo er heute Professor am Bard College in der Nähe von New York ist. Die Szenen mit ihm geben dem Film die bewegenden Momente, auch wenn er bisweilen fast abweisend wirkt, sich der Kamera und dem Zuschauer überhaupt nicht anbiedert. Fremd zu sein in einer Gesellschaft und in einer Sprache – diese Existenzform verkörpert Manea exemplarisch. Obwohl er hervorragend Englisch kann, hat er sein neues Buch "Die Rückkehr des Hooligan", das er kürzlich auch in Deutschland auf einer Lesereise vorstellte, in Rumänisch geschrieben.
Dass ein Star wie Harvey Keitel sich nicht zu schade für einen Dokumentarfilm ist, spricht für ihn, und die Szene, in der er in Brighton Beach in New York mit einem Ukrainer plaudert, hat durchaus Charme. Wenn er aber dann, wie alle Hauptpersonen, nach Czernowitz reist und wie ein Tourist durch die Stadt stolziert, mit einem wehenden Umhang, und man merkt, dass er zum Thema Bukowina so gar nichts zu sagen hat, stürzt der Film in eine bei Koepp sonst nicht gekannte Banalität ab. Das Celan-Gedicht, das Keitel schließlich auf einer Bank sitzend vorliest, ist nur ein schwacher Trost. Der Star wirkt wie ein Fremdkörper in diesem Film.
Die Verdichtung einer Situation und die Intensivierung eines Gesprächs, die Koepp in "Kalte Heimat" und "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" immer wieder gelungen ist und hier in den Begegnungen mit Norman Manea, findet man diesmal zu selten. Bei den Hauptpersonen und den zahlreichen Randfiguren überwiegt oft das Beiläufige oder sogar das Pittoreske, etwa bei dem 89 Jahre alten Johann Schlamp, dem wohl letzten Deutschen in Czernowitz, der ein Operettenlied singt. Vielleicht will aber Koepp mit den Löchern und Brüchen seines Films zeigen, dass es unmöglich geworden ist, das alte Czernowitz noch einmal zu vergegenwärtigen.