Die Retrospektive der Berlinale 2021 präsentiert das komödiantische Œuvre der drei US-amerikanischen Schauspielerinnen Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard. Im Fokus stehen rund 30 Filme, in denen die jeweils unverwechselbaren Handschriften der Darstellerinnen im Genre der klassischen Hollywoodkomödie zum Ausdruck kommen.
Seit der Großen Depression zu Beginn der 1930er-Jahre wurde in den USA das Komische zu einer Reflexions- und Bewältigungsstrategie der Krise. Auch der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ließ das Genre der Komödie weiter florieren. Das Kino bot dem Publikum Ablenkung und kurzfristige Erleichterung. Subgenres wie die Screwball Comedy oder die romantische Komödie hatten hier ihre Hoch-Zeit – und fanden in Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard selbstbewusste, gegen Klischees agierende Künstlerinnen.
Denn der Star (männlich) war das Zentrum, um den ein Hollywoodfilm geschrieben, finanziert und inszeniert wurde. Die Rolle, die der Frau angeboten wurde, ist klar: Ikone der Schönheit und Verführung. Um in diesem männlich-polarisierten System als weiblicher Star erfolgreich sein zu können, muss man neben Talent eine gute Portion Mut und Durchsetzungskraft haben.
Als "female leading comedians" ihrer Zeit erreichen die drei Schauspielerinnen bis heute ihr Publikum auf ganz individuellen Wegen. Mae West spielt mit den Klischees des Weiblichen und kehrt mit zweideutigen Blicken und anspielungsreicher Sprache etablierte Geschlechterverhältnisse um. Rosalind Russell besticht in ihren Rollen der selbstbewussten Karrierefrau durch schlagfertigen Witz und überrascht zugleich mit Slapstick-Komik. Carole Lombard überzeugt hingegen mit subtiler Eleganz, mal als verwöhnte Millionenerbin, mal als ehrgeizige Schauspielerin, die Bühne oder Film erobern will.
Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Leiter der Retrospektive: "Komödien nutzen Klischees, spielen mit ihnen – und brechen sie auch. Reale Zustände und Ungleichheiten, aber auch Geschlechterverhältnisse werden ihr Material. Die klassische Hollywoodkomödie der 1930er- und 1940er-Jahre thematisiert all dies unter den Beschränkungen des 'Production Codes' und stellt dabei dank der großen Darstellerinnen auch traditionelle Zuschreibungen in Frage. Daher haben wir uns in der Retrospektive für das Genre der Komödie entschieden. Wir freuen uns, die schauspielerischen Leistungen von West, Russell und Lombard würdigen zu können."
Carlo Chatrian, Künstlerischer Leiter der Berlinale: "In Hollywoods Goldenem Zeitalter als Schauspielerin erfolgreich zu sein, war für Frauen eine besondere Errungenschaft. Sie mussten in einem System arbeiten, das von Männern geführt wurde, in Geschichten, die auf Männer fokussierten und mit männlichen Darstellern spielen, die im Mittelpunkt standen und die besten Drehbuchsätze hatten. Mit dem Fokus der Retrospektive auf drei sehr unterschiedliche Darstellerinnen, möchten wir hervorheben, welchen Reichtum diese 'Engel' Hollywood beschert haben. West, Russell und Lombard sind weit mehr als himmlische Geschöpfe. Ihre Sprache war schnell und gewitzt, sie kämpften um ihren Rang am Set, sie gaben ihren Charakteren Tiefe und Ironie und sie eröffneten eine andere Sichtweise auf Frauen. Und noch immer lassen sie uns über das Leben und uns selbst schmunzeln und lachen."
Als 39-Jährige begann Mae West ihre Karriere beim Film. Die schon vorher erfolgreiche Theater- und Varietédarstellerin debütierte in Archie Mayos "Night After Night" (1932). In kurzer Zeit avancierte sie zur höchstbezahlten Schauspielerin der 1930er-Jahre. Die Selbststilisierung ihrer Figur wurde, entgegen der damaligen Schönheitsideale, ihr ureigenes Markenzeichen. Die meisten ihrer insgesamt 12 Spielfilme werden in der Retrospektive zu sehen sein, darunter Wesley Ruggles' "I'm No Angel" ("Ich bin kein Engel", 1933) sowie Raoul Walshs "Klondike Annie" (1936), in dem Mae West ihre wohl umstrittenste Rolle als die anrüchige Frisco Doll spielt, die auf der Flucht nach Alaska die Identität der frommen Sister Annie annimmt. Aufgrund des offensiven Umgangs mit ihrem Sex-Appeal geriet Mae West, die die Storys und Drehbücher ihrer Filme überwiegend selbst verantwortete, immer wieder mit der Filmzensur in Konflikt.
Rosalind Russell gelang der Durchbruch als Komödiendarstellerin mit George Cukors "The Women" ("Die Frauen", 1939). Danach spielte sie in ihrer langen Filmkarriere abwechselnd immer wieder ernste und komische Rollen. In den Komödien sind Russells Figuren häufig erfolgreiche Geschäftsfrauen, die sich zwischen Liebe und Karriere entscheiden müssen. Sie besteht als schlagfertige Journalistin in "Four's a Crowd" ("Liebe zu viert", Michael Curtiz, 1938) oder als abgeklärte Richterin in "Design for Scandal" ("Rache ist süß", Norman Taurog, 1941) in einer von Männern dominierten Welt. Immer wieder beweist Russell in ihren Filmen mit perfektem Timing und physischer Virtuosität ihre Meisterschaft in der Slapstick-Komik. Ihre schauspielerische Gewandtheit wird in dieser Retrospektive wiederentdeckt.
Carole Lombard trat bereits in Stummfilmen auf, bevor sie – wie auch Mae West – in den 1930er-Jahren zum Star der Paramount Pictures avancierte. Bis zu ihrem frühen Unfalltod 1942 wirkte sie in über 40 Spielfilmen mit, ein Großteil davon sind Komödien. Ihre feminin angelegten, von den Typen der Naiven bis zur eleganten Dame von Welt reichenden Interpretationen prägen die Filme: Sie brilliert als sorglose, reiche Tochter in "My Man Godfrey" ("Mein Mann Godfrey", Gregory La Cava, 1936), als temperamentvolle Schauspielerin in "Twentieth Century" ("Napoleon vom Broadway", Howard Hawks, 1934) und in "No Man of Her Own" (Wesley Ruggles, 1932) als Kleinstadtmädchen, das sich nach der großen Welt und der noch größeren Liebe sehnt. Leichtigkeit, Charme und Witz verbinden sich in ihrem Schauspielstil, der sich als besonders variantenreich erweist.
Gearbeitet haben die drei Schauspielerinnen mit renommierten Regisseuren wie Howard Hawks und Alfred Hitchcock und mit Spezialisten im komödiantischen Fach wie Alexander Hall und Ernst Lubitsch.
Zusammen sind West, Russell und Lombard nie in einem Film aufgetreten – die Deutsche Kinemathek und die Berlinale ermöglichen es nun, sie zusammen in einer Retrospektive zu erleben. Die Filme werden in bestmöglicher Qualität und überwiegend als 35-mm-Filmkopien präsentiert.
Zur Retrospektive "No Angels – Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard" erscheint eine deutsch-englischsprachige Publikation.
Das Filmprogramm der Retrospektive wird von Veranstaltungen in der Deutschen Kinemathek begleitet.
Quelle: www.berlinale.de