Anderswo. Allein in Afrika
Sommerzeit ist Reisezeit
Quelle: Koryphäen Film, DFF, © Saudade Film |
Manuel Vering, Maria Ehrich in "Leaving the Frame" (2019) |
Sommerzeit ist Reisezeit – oder war es zumindest bisher. Denn während es für lärmgeplagte Großstadtmenschen ein Segen ist, dass kaum noch Flugzeuge am Himmel zu sehen und im Schlafzimmer zu hören sind, finden Fernreisen derzeit scheinbar hauptsächlich für Covid-19 statt. Die globale Pandemie hat zur Folge, dass sich viele Menschen nur noch in überschaubarem Radius bewegen.
Noch vor kurzem sah die Welt hingegen ganz anders aus: Wie genau kann man einem Genre entnehmen, das in den letzten Jahren auf deutschen Kinoleinwänden getourt ist und einige der meistbesuchten Dokumentarfilme hervorgebracht hat: Der zeitgenössische Reisefilm, eine Neuauflage jener Diashows über Patagonien oder die Wüste Gobi, die im 20. Jahrhundert in Dorfgemeinschaftshäusern und baufälligen Stadthallen präsentiert wurden – mit Werbeschildern an Hauptstraßen, direkt neben Insektenausstellungen, Erotikmessen und dem Zirkus Barum. Auch heute noch ziehen also Menschen um die Welt in Gegenden, in die sich sonst nur wenige verirren, um dem Rest der Welt davon zu berichten. Die Vorzeichen sind inzwischen jedoch andere: Das Marketing läuft in Echtzeit über Instagram, Follower*innen können somit schon während der Reise dabei sein. Am Ende entsteht, fast als Beiprodukt, der Film zum Insta-Adventure. Story und fertiger Film gleichen sich dabei in ihrer Ästhetik: Raue Landschaften mild gefiltert, lächelnde Locals, Sonnenuntergänge gehen immer. Und natürlich: Selfies, Selfies, Selfies.
Im Gegensatz zu den Diashows von einst schwenken die neuen Reisefilme weg von einer Dokumentation der Welt hin zur Nabelschau. Im Mittelpunkt steht das Ausbrechen aus dem Alltag in Gelnhausen, Herxheim, Sontra und Siegburg und das Verfolgen persönlicher Träume, die natürlich immer etwas mit dem Finden des Selbst zu tun haben. Es scheint, als sei die ganze Welt dafür gemacht, mit dem deutschen Reisepass (drittbester im internationalen Ranking!) intensiv zur Selbsterfahrung genutzt zu werden. Die Unkenntnis der Gegenden und Lebensweisen der Menschen, unter denen man sich bewegt, ist da ganz nützlich, würde doch eine nähere Betrachtung derselben und vor allem die Reflexion eigener Privilegien (natürlich sind alle Protagonist*innen der aktuellen Reisefilme deutsche Kartoffeln) von den schönen Bildern und den wohligen Gefühlen ablenken. Für diese einstehen müssen vor allem die für die Reise gewählten Fortbewegungsmittel, denn unabdingbarer Bestandteil der Challenge für alle Reisefilm-Reisende ist es, auf möglichst einzigartige Weise unterwegs zu sein – und sei es per Trittbrett. Gerne werden auch weitere Herausforderungen (kein Geld, Kinder, Rentenalter) als Alleinstellungsmerkmale ins Spiel gebracht, um sich im hart umkämpften Feld des Reisefilms besser durchsetzen zu können.
Gut ein Dutzend Produktionen sind in den letzten Jahren ins Kino gekommen und teils auch auf den VoD-Plattformen zu sehen. Vielleicht werden es noch mehr, schließlich passen sie gut in unsere Zeit: Ohne es zu wissen läuteten diese Filme eine neue und umweltbewusste, kokon- und coronagerechte Ära des Reisens ein. Warum sollten sich abertausende Twentysomethings zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch die ehemals entlegenen Winkel der Welt drängeln müssen, wenn ein paar von ihnen dies instatauglich aufbereiten und mit minimalem CO2-Fußabdruck nach Hause liefern können – nachdenkliche Sprüche mit Bildern inklusive?
Watchlist:
"Pedal the World" (2013-15) Felix Starck, Fahrrad
"Weit" (2013-17) Patrick Allgaier, Gwendolin Weisser, verschiedene Verkehrsmittel, kein Flugzeug
"Expedition Happiness" (2016/17) Felix Starck, Selima Taibi, umgebauter Schulbus
"Anderswo. Allein in Afrika" (2014-18) Anselm Nathanael Pahnke, Fahrrad
"Reiss aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum" (2017/18) Lena Wendt, Ulrich Stirnat, alter Land Rover
"Projekt: Antarktis" (2017/18) Dennis Vogt, Tim David Müller-Zitzke, Michael Ginzburg, Flugzeug und Schiff
"Zwei Familien auf Weltreise" (2017/18) Thor Henrik Braarvig, Benedict Durchholz, mit Kindern
"Blown Away – Music, Miles and Magic" (2015-19) Micha Schulze über Hannes Koch und Ben Schaschek, Segelschiff und Bus
"Besser Welt als Nie" (2018/19) Dennis Kailing, Fahrrad
"Über Grenzen" (2018/19) Johannes Meier über Margot Flügel-Anhalt, 125er Enduro
"Leaving the Frame" (2018/19), Maria Ehrich, Manuel Vering, VW Käfer