Das indische Grabmal, Teil 1 - Die Sendung des Yoghi
Ein Ausflug nach Indien – bei Berlin
L. B. (= Ludwig Brauner), Der Kinematograph, Nr. 744, 22.5.1921
Auf dem ausgedehnten Gelände der Filmstadt Woltersdorf, der Geburtsstätte des Riesenfilms "Herrin der Welt", der Sagenfilme "Der Henker von St. Marien", "Die heilige Simplicia" und einer Reihe anderer Bildbandschöpfungen, die inzwischen auf fast allen Lichtspieltheatern des Inlandes und auf den Filmbühnen vieler Auslandsstaaten, vermöge ihrer hervorragenden Qualitäten, ihre bedeutende Zugkraft dokumentiert haben, erheben sich umfangreiche, nach den Entwürfen von Martin Jacoby-Boy geschaffene Bauten, die den szenischen Hintergrund für den in Vorbereitung befindlichen May-Großfilm "Das indische Grabmal" abgeben. (...)
Zwischen all den leblosen, das Auge berauschenden Hochbauten, flutet die pulsierende Beweglichkeit der zahllosen Menschen, die als Komparsen in diesem Film beschäftigt sind. Neben den Mitgliedern der Filmbörse, Bewohnern der Nachbardörfer, sämtlich in bunte Gewänder der indischen Kasten gekleidet, wirken in den Tagen der Massenszenenaufnahmen überdies noch rund 600 Tartaren aus dem Interniertenlager in Wühnsdorff – Rot- und Weißrussen – unter dem Kommando des Oberstleutnants Eichinger als militärische Staffage, hoch zu Roß, teils aber auch zu Fuß, mit. Die gutgenährten und wohlaussehenden Tartaren bilden unter dem Kommando ihrer Führer eine disziplinierte und exakt exerzierende indische Paradegarde, deren rote Uniformen die Farbenpracht der ganzen Buntheit wundervoll erhöhen. Die Leute haben für die Dauer der Aufnahmen ihre Zelte mitten auf dem Filmgelände aufgeschlagen. Sie fühlen sich offenbar recht wohl. Besondere Zuschubstaffel und eigene Feldküchen sorgen für ihre Verpflegung. – Noch ein anderes Lager zieht die Aufmerksamkeit des Filmstadtbummlers auf sich: Die Wagenburg und die Wohnzelte des Zirkus Sarrasani, der mit Personal und seinem ganzen umfangreichen Tierpark auf eine Reihe von Tagen für diese Filmaufnahmen gewonnen ist. Ein Dutzend Elefanten mit dem Zeichen des Maharadscha auf der breiten Stirn wirkt bei dem Empfang des Fürsten, einer Szene, die eben gedreht wird, verständnisvoll mit. Die plumpe Schar gehorcht den Winken ihrer Führer. Sie ist kein Spielverderber. Eine in blaue Uniformen gekleidete Militärkapelle spielt in flottem Tempo den Begrüßungsmarsch. Auf dem weiten Platze vor dem großem Palasteingangstor tummelt sich die Menschenmenge, Gruppen sitzen beieinander, unterhalten sich mit Spiel und Handel, landesübliche Fuhrwerke, mit indischen Zugtieren bespannt, schlenkern langsam durch die Menge, die rotuniformierten dienstfreien Wachtposten lungern plaudernd vor den Räumen ihres Kasernements am Eingangstor des Palastes herum, die Posten selbst versehen ihren strammen Dienst, die Marktleute bedienen ihre Interessenten; ein naturwahres Bild von der Lebendigkeit eines öffentlichen indischen Platzes bietet sich dem Auge. Plötzlich kommt Leben in die Masse. Einzelne sind aufmerksam geworden, machen andere auf etwas aufmerksam und im Nu sind aller Augen neugierig nach aufwärts gerichtet. Ein Doppeldecker kreist im kühnen Bogen um die Gopuratürme, fliegt pfeilschnell zwischen den Türmen durch und soll am Marktplatz landen. Szene an Szene reiht sich. Eine Kassette nach der andern wird mit belichteten Filmstreifen gefüllt, der herrliche Tag muß ausgenützt werden. Umsichtig leitet Joe May die Einzel- und Massenszenen, jedes Teilbild vorher auf seine Filmwirkung ausprobierend. Raketensignale schwirren in die Höhe, Kommandoworte werden weiter gegeben, flinke Reiterordonnanzen übermitteln den Willen des Regisseurs an entfernter stehende Darstellergruppen, überall regster Betrieb, eifrigstes Schaffen. Konrad Veidt, Olaf Fönss, Mia May, Regisseure und Regieassistenten, Operateure und künstlerische Beiräte widmen sich mit Eifer ihren komplizierten Aufgaben; ein scheinbares Durcheinander, bei näherem Zusehen aber exaktes Funktionieren eines wohlorganisierten Großbetriebes, in dem jeder Kraft eine genau zugewiesene Aufgabe im voraus bestimmt ist. Alles klappt; es wird eine sehenswerte Filmschöpfung.