Es ist nicht leicht ein Gott zu sein
Ein Menetekel
Claudius Seidl, Die Zeit, 26.01.1990
Was geschah wirklich in den ersten sieben Tagen der Ewigkeit, als Gott den Himmel und die Erde erschuf, alle Pflanzen und Tiere und zuletzt den Menschen nach seinem Bilde? Hatte Gott damals gewisse Probleme mit der himmlischen Bürokratie? Mußte er das Geld für sein gewaltiges Projekt erst mühsam zusammenborgen? Gab es technische Schwierigkeiten bei der Erschaffung Arabiens und der Erfindung der Schildkröte? Und ist deshalb Gottes Schöpfung so unvollkommen? Wir wissen es nicht.
Aber wir wissen, was wirklich geschah in jenen sieben langen Jahren, in denen Peter Fleischmann einen Film erschuf nach dem Bilde seiner Phantasie. Und wir ahnen deshalb, warum es nicht der vollkommenste aller Filme werden konnte. Peter Fleischmann wollte eine ganze Welt erfinden und erbauen. Aber er mußte sich herumärgern mit deutschen und französischen Produzenten, vor allem jedoch mit den unerforschlichen Ratschlüssen der sowjetischen Bürokratie, mit den Mängeln russischer Technik – und dann schmolz auch noch ein Atomreaktor, nur hundert Kilometer vom ukrainischen Drehort entfernt. "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" – dieser Titel bringt auch das Verhältnis des Regisseurs zu seinem Film auf den Begriff. Die Geschichte der Dreharbeiten ist spannender als der eigentliche Film, und die Moral dieser Geschichte heißt: Mein Gott, Fleischmann!
Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein, für Rumata, der als Raumfahrer und Wissenschaftler auf dem Planeten Arkanar gelandet ist. Dort nämlich leben Menschen wie wir, aber sie leben in einer fernen Zeit, an der Schwelle von der Barbarei zum Mittelalter. Es ist eine dunkle und traurige Welt, denn den Menschen fehlen Glaube and Hoffnung, und ein besonders hoffnungsloser Fall ist Reba, der blutrünstige Herrscher dieser Welt.
Rumata lernt erst das Mitleid kennen, dann die Liebe zu den Unterdrückten; er möchte eingreifen und helfen, den Herrscher zu stürzen, doch als Historiker darf er nur beobachten. So kämpft er einen Kampf gegen sich selber, gegen seine Zweifel und sein Pflichtgefühl, und am Ende siegt die Menschlichkeit über die Vorschriften. Das Sein bestimmt auch das Bewußtsein der Götter, und deshalb beginnt Rumata zu handeln. Er liebt eine Frau, tötet einen Mann – und entdeckt dabei, daß das Mittelalter noch in uns allen steckt. Das Thema des Films heißt eigentlich: Es ist nicht leicht, ein Mensch zu sein.
Dieser Rumata ist ein Zauderer und ein Zerrissener wie James Stewart in seinen besten Rollen; er ist ein Mann fürs Kino, und seine Geschichte hat biblische und mythische Dimensionen. Man muß an Prometheus denken und an Jesus von Nazareth, manches erinnert an Hamlets Konflikte und vieles an Nietzsches Schriften: "Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe als irgendein Affe." Weil ein russischer Roman als Vorlage diente, trägt der Gegenspieler die Züge Stalins und handelt wie Pol Pot. Und daß erst ein Gott aus der Maschine kommen muß, um den Tyrannen zu stürzen, das wirft einen Schatten von Pessimismus auf das happy ending.
Das Abenteuer der Dreharbeiten muß so anstrengend gewesen sein, daß keine Kraft mehr blieb für das Abenteuer des Inszenierens und keine Zeit fürs abenteuerliche Denken. Peter Fleischmann schaute sich um in seinen Kulissen und in seiner Geschichte, und er sah, daß es gut war. Wir aber sehen nur einen filmgewordenen Kompromiß. Fleischmann schaut nicht aus der Perspektive eines Gottes auf die Welt und ihre Menschen: Dafür fehlen ihm die Weisheit und die Liebe, vor allem aber die Obersicht. Wie spannend es sein kann, wenn einer alles sehen und nirgends eingreifen kann, das guckt man besser bei Wim Wenders nach. Fleischmann schaut aber auch nicht aus der Perspektive der Menschen auf den Gott und seine Werkzeuge; dafür fehlen ihm die Grausamkeit, die Genauigkeit, vor allem aber die Präsenz. Und wie erschreckend es wirkt, wenn man durch die Augen jener guckt, die Hubschrauber als fliegende Drachen wahrnehmen, Gewehrsalven als Höllenfeuer, Motorenlärm als Inferno – das haben Francis Coppolla und George Miller schon präziser und gewaltiger inszeniert.
Fleischmanns Film sucht nach der Metaphysik, doch Fleischmanns Regiekunst scheitert schon an den einfachsten Problemen des physischen Kinos. Es ist nicht leicht, eine Verfolgungsjagd, einen Schwertkampf oder gar einen Kuß zu filmen. Für Fleischmann, der schon die Last der Verantwortung und das Gewicht riesiger Probleme trug, war es zu schwer. Der Film ist nicht schlecht, nur harmlos und halbherzig.
Es ist nicht leicht, über diesen Film zu nörgeln. Peter Fleischmann hat fast ein Jahrzehnt seines Lebens dafür geopfert, und schon sein Eifer und sein Mut verdienen unseren Respekt. Vermutlich erscheint bald das Buch zum Film mit der ganzen Wahrheit über die Produktion und die Dreharbeiten. Jeder sollte dieses Buch vor dem Kinobesuch lesen – und dann den Film ganz genau anschauen: Er ist ein Menetekel, eine Warnung vor dem Euro-Film, ein Pamphlet wider die internationale Großproduktion und ein Beweis dafür, daß wir Europäer nicht Hollywood mit Hollywoods Mitteln schlagen können.
© Claudius Seidl