Lulu & Jimi
Liebe, Tod und Tanztee
Oskar Roehler im Gespräch mit filmportal.de über den Reiz der 50er Jahre, das Ende der Nabelschau und Briefmarken aus faschistischen Staaten.
filmportal.de: "Lulu & Jimi" ist von David Lynchs "Wild at Heart" inspiriert. Was hat sie an diesem Film besonders fasziniert?
Oskar Roehler: Seine wahnsinnige Energie. Während deutsche Filme meistens wenig energetisch daherkommen, strahlt dieser Film eine unglaubliche Energie aus, und nicht zuletzt durch dieses Paar, das nach dem Motto "Go for it" sich zu seiner Liebe bekennt und für sie lebt. Außerdem haben mich die großen Metaphern von David Lynch beeindruckt. Ein weiteres großes Kinovorbild war für mich aber auch Leos Carax" "Die Nacht ist jung", der auch ganz konsequent in einem extrem künstlichen Universum spielt.
Haben Sie auch deshalb den Film in den 1950er Jahren angesiedelt, weil diese so weit von heute entfernt sind und man sie leichter künstlich gestalten kann?
Es gibt da ein Schriftstück meiner Eltern, etwa von April 1957, in dem mein Vater meiner Mutter eine erste Postkarte schrieb und sagte: "Gnädiges Fräulein, es war reizend, Sie beim Tanztee kennen zu lernen. Dürfte ich Sie noch einmal ansprechen und Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?" Punkt, Punkt, Punkt. Das fand ich so cool. Es ist über 50 Jahre her, aber er hat das wirklich mal meiner Mutter geschrieben. Und da fing ich an, mir Gedanken über die Zeit und so eine Geschichte zu machen.
Die 50er Jahre in "Lulu und Jimi" haben trotz all der Förmlichkeit und Aufgeräumtheit auch etwas sehr Dunkles und Triebhaftes...
Ich denke, in dieser Zeit wirkten auch viele dunkle Kräfte. Doch wenn ich die Briefe meiner Eltern lese, sehe ich da vor allem eine große Naivität. Die Leute damals glaubten wohl an Vieles, an das wir heute nicht mehr glauben. Und das fand ich eben auch so faszinierend: diese Naivität, mit der sie sich in Abenteuer gestürzt haben, koste es, was es wolle. Das fand ich klasse.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum Lynch-Film ist ja, dass die männliche Hauptfigur ein Schwarzer ist. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Mir erschien das so wahnsinnig signifikant: ein Schwarzer im Deutschland der 50er – der wirkt sofort wie ein Fremdkörper. Ich wollte damit von Anfang an alle Zweifel daran beseitigen, dass diese Liebesgeschichte eine schwierige Sache wird. Ähnlich wie das damals Fassbinder bei "Angst essen Seele auf" gemacht hat, obwohl der einen ganz anderen Hintergrund und eine viel realistischere Herangehensweise bei seinem Film hatte.
Ihre früheren Filme hatten sehr selbstquälerische, neurotische Protagonisten. Das ist bei "Lulu und Jimi" ganz anders; die beiden wissen genau, was sie wollen und quälen sich nicht selbst, sondern werden von ihrer Umwelt gequält...
Ich wollte die Sache einfach einmal von der anderen Seite aufziehen. Diese introspektiven Figuren hatte ich schon so oft, der Ansatz wurde ermüdend und hat mich nicht mehr herausgefordert. Der Nabelschau kann man sich durchaus eine Zeit lang widmen kann, denn das eigene Leben hat mit den Phasen, in denen man intensiv gelebt hat, ja auch eine Menge zu bieten. Und es ist nicht so, dass ich langweilige Jahre gehabt hätte zwischen 25 und 40. Ich habe sehr intensiv gelebt. Aber wenn man sein Leben dann sehr stark auf seine Arbeit ausrichtet, wie ich es jetzt mache, dann kommt man durch die Arbeit auch stärker ins Nachdenken darüber, was den anderen Leuten passiert ist, und man denkt viel weniger über sich selbst nach. Zurzeit beschäftigt mich etwa, wie sich Familiengeheimnisse über 50 Jahre eines Lebens hinweg entschlüsseln – in diesem Fall die Geheimnisse meines Vaters. Im Laufe der Jahre erfährt man da so viel, und irgendwann beginnt man viel besser zu verstehen, wie so etwas funktioniert, was jemand gemacht hat und warum er so geworden ist, wie er geworden ist.
Ist es als "Extremist des deutschen Films", wie Sie oft bezeichnet werden, nicht sehr schwierig, Geld für ein neues Projekt zusammenzubekommen?
Bei "Lulu und Jimi" eigentlich nicht, denn ich hatte mit "Elementarteilchen" einen großen kommerziellen Erfolg mit fast einer Million Zuschauer - was außer mir nur wenige Deutsche in den letzten Jahren geschafft haben.
Wie war das bei früheren Projekten? Mussten Sie da mehr kämpfen?
Es war schwieriger, aber ich hatte wohl immer auch ein bisschen Glück. Bevor ich so starke Partner wie Bernd Eichinger hatte, lief das natürlich in anderem Rahmen ab. Der Erfolg von "Die Unberührbare" brachte für mich viel in Bewegung. Der Film ist mit nur 15 Kopien gestartet und erreichte dann 300.000 Zuschauer. Mit 15 Kopien! Es gibt keinen Film, der in den letzten 10 Jahren in dieser Größe gestartet wurde und auch nur annähernd so einen Erfolg hatte.
Was sind Ihre laufenden Projekte?
Ich habe gerade eine Familiensaga geschrieben, die im Grunde eine Sittengeschichte der Bundesrepublik werden soll. Es geht um Liebesgeschichten, die sich über drei Generationen hinziehen. Es fängt mit dem Großvater an, der aus dem Krieg zurückkehrt und feststellen muss, dass seine Frau mit seiner Schwester, die eigentlich Nonne werden wollte - was er nie verstanden hat - ein Verhältnis hat. Dieser Kriegsheimkehrer ist also ausgeschlossen. Und er ist jemand, der im Krieg viele Leute erschossen hat, im Grunde also immer noch ein potenzieller Killer. Ich denke, in dieser Form hat man das bisher noch nicht gesehen. Die Kriegsheimkehrer werden sonst immer als ausgemergelt und schwach dargestellt, und die Mama stellt ihm die Suppe hin. Nein, dieser ist ein potentieller Killer. Er bringt dann aber seine Frau nicht um, sondern entwickelt eine ganz andere Strategie, sich in einem Land einzurichten, in dem er nie wieder zu Hause sein wird. Er produziert Gartenzwerge und wird Millionär, tut aber immer noch so, als ob er total arm wäre. Sein ganzes Geld legt er in einer gigantischen Briefmarkensammlung aller faschistischen Staaten an, die es je irgendwo auf der Welt gab. Später muss dann der Sohn, der selber nichts mehr hat, die Briefmarken verkaufen. Er denkt, er besitze da ein Millionenerbe – und stellt zu seinem Erschrecken fest, dass die kaum noch was wert sind.
Ganz am Ende seines Lebens macht dieser Sohn etwas Überraschendes: Seine Frau, mit der er seit 45 Jahren keinen Sex mehr hatte, mit der er kaum noch ein paar Worte spricht, die er meist völlig ignoriert, droht irgendwann an Nierenversagen zu sterben. Und er opfert ihr im Alter von 70 Jahren seine Niere! Während sie überlebt, stirbt er nun fast. Und dann legt sie sich zum ersten Mal nach diesen ganzen Jahrzehnten an seine Seite und streichelt ihn, beruhigt und tröstet ihn. Dann wird er wieder gesund.
Wieder die heilsame Kraft der Liebe...
Genau. Ihre letzten Jahre verbringen sie dann in einer sehr kindlichen Eintracht, weil sie kapiert haben, wie wertvoll das ist. Es hat ja auch ganz schön lange gedauert, bis sie das kapiert haben... (lacht). Das ist eigentlich meine Lieblingsgeschichte, denn ich bin bei den Großeltern aufgewachsen und habe das zum Teil durchaus so miterlebt. Die Geschichte hat also nicht so einen Comic-Charakter wie "Lulu & Jimi", sondern einen ganz realen Hintergrund.
Und dann gibt es noch die Geschichte meiner Eltern, die ganz viel versuchen und grandios scheitern. Außerdem gibt es auch eine Art Alter Ego zu mir, der aber ganz andere Bahnen einschlägt und Wendungen erlebt. Er ist schwul und lernt in Berlin einen Tänzer kennen. So gerät er in dieses ganze Aids-Desaster hinein, 1981/82, als noch keiner wusste, was es damit auf sich hat; und plötzlich sieht alles nach einem Horrorfilm aus. Während der Freund stirbt, überlebt er und kommt dann wieder mit seiner Jugendliebe zusammen. Diese zwei leben dann auch ganz platonisch, ohne Sex zusammen – genau wie die Großeltern, suchen sich aber den Sex woanders.
Und dann steht noch eine Auftragsarbeit über "Jud Süß" an?
Ja, wobei "Auftragsarbeit" nicht so toll klingt, denn es ist ein unglaublich gut geschriebenes Buch, das der sehr gute und sehr erfolgreiche Drehbuchautor Klaus Richter geschrieben hat. Er hat mir das Projekt, eine europäische Koproduktion, angeboten. Es geht anhand der Geschichte von Ferdinand Marian, der in "Jud Süß" die Hauptrolle gespielt hat, um die Propagandafilme im Dritten Reich, um Schauspieler, die am Ende zum Opfer ihrer eigenen Eitelkeit und eigentlich auch ihrer Naivität und Dummheit werden, also im Grunde eine ähnliche Geschichte wie bei "Mephisto". Visuell stelle ich mir den Film als einen Mix aus "Mephisto" und "Raging Bull" vor - sag ich jetzt einfach mal so.
Quelle: DIF, Foto: Horst Martin
Oskar Roehler im Interview mit filmportal.de
Quelle: DIF, Foto: Horst Martin
Oskar Roehler im Interview mit filmportal.de