Am Ende kommen Touristen

Deutschland 2006/2007 Spielfilm

Am Ende kommen Touristen


Ein konstanter Störfaktor ist auch Anias Bruder. Wenn er nicht Punk-Rock-Konzerte gibt, legt er sich an seinem von neuen deutschen Fabrikherren aufgekauften Arbeitsplatz mit der Vorgesetzten an, die ihn wegen seiner "typisch polnischen" notorischen Unzuverlässigkeit entlässt. Der latente Hass der Polen auf ihre deutschen Nachbarn zieht sich wie ein roter Faden durch den in warmen sommerlichen Farben gehaltenen, konsequent in dokumentarischer Ästhetik mit der Handkamera gedrehten Film.

Es ist ein Genuss zu erleben, wie Thalheim auf unwahrscheinliche dramaturgische Eskalationen verzichtet und trotz des reduzierten Inszenierungsstils intensive Momente der Annäherung schafft, mit hervorragend ausgewählter Musik unterlegte kurze Oasen des Aufatmens in einem komplizierten Geflecht aus hartnäckigen Ressentiments, simulierter und echter Betroffenheit und Missverständnissen, die inmitten des neuen Europa sogleich ein Erdbeben auslösen können. Zu den großen Stärken gehört auch die leise entlarvende Zurückhaltung, mit der Thalheim die Routine und mitunter auch Absurdität des deutschen Gedenktourismus an den Ort des Grauens einfängt, wenn er etwa Krzeminski bei einer betrieblich gesponserten Mahnsteinlegung davon erzählen lässt, wie er und seine Mitgefangenen in der Tötungsmaschinerie nur nach ihrer Verwertbarkeit beurteilt wurden und die Betroffenheitsbeauftragte der Firma ihm überfordert das Wort abschneidet, nur um endlich das obligatorische Gruppenfoto am Denkmal zu absolvieren. Die Genauigkeit des auf Subtexte setzenden Ansatzes mag daran liegen, dass der Regisseur selbst in den 90er-Jahren als Zivi in Auschwitz gearbeitet hat.

Unter Verzicht auf altbekannte historische Bilder oder didaktische Wiedergutmachungsgesten bleibt er ganz in der Gegenwart und schafft so ein vielschichtiges Lehrstück über eine deutsch-polnische Normalität, die sich bis heute nicht einstellen will. Neugierig und unvoreingenommen lässt sich seine kluge Reflexion auf ein waghalsiges Abenteuer ein, an dessen Ende Erfahrungszuwachs und ein neue Räume des gegenseitigen Verstehens öffnendes Innehalten steht, das lange nachwirkt. Die Mischung aus deutschen und polnischen Darstellern, darunter der wunderbar lakonische Bühnenschauspieler Ryszard Ronczewski, dessen Filmografie wie eine Chronik des polnischen Kinos daher kommt, trägt zur Stimmigkeit des alle Risiken erstaunlich sicher bewältigenden Unternehmens bei – nicht zuletzt dank des herausragenden Hauptdarstellers Alexander Fehling. Der Abgänger der Ernst-Busch-Schule zeigt sich seiner Rolle eines so ernsten wie verunsicherten jungen Mannes, der ohne Vorbereitung mit der geballten Ladung deutscher Verbrechen konfrontiert wird, mehr als gewachsen. Sein nuanciertes, waches, an Natürlichkeit nicht zu übertreffendes Spiel gehört zum Besten, das der junge deutsche Film bisher in Sachen Schauspielkunst zu bieten hatte. Wem die frische und ungewohnte Vergangenheitsbewältigung nicht dramatisch und erschütternd genug ist, sei mit Worten von Krzeminski empfohlen: "Zeigen Sie denen Schindlers Liste".

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