Die Weber

Deutschland 1927 Spielfilm

Die verfilmten "Weber"

Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung, Nr. 396, 30.5.1927

Bei der Verfilmung von Gerhart Hauptmanns "Weber" haben die großen Russenfilme: "Potemkin" und "Mutter" als Vorlage gedient. Schon zur Übernahme gewisser Stoffmotive bot das (für den Filmgebrauch abgewandelte) Bühnenwerk Gelegenheit. Der frühkapitalistische Fabrikant plagt die Weber. Seine Helfer: die Polizei, das Militär und der Geistliche, der die Ausbeutung als Gottes Gesetz mißversteht. Dem Gesicht der herrschenden Klasse werden die Elendsgestalten der schlesischen Heimarbeiter drastisch gegenübergestellt. Es kommt zum Hungeraufstand, zur Plünderung des prangenden Fabrikantenhauses. Die Rebellen, an ihrer Spitze der Urlauber, stürmen gegen den Todfeind, die Maschinen, an. Der Haufen wird von einer Kompanie gestellt, die das Feuer eröffnet. Sie muß zum Schluß vor dem Anprall der Masse zurückweichen, der die Gewalt der Verzweiflung innewohnt.

Wichtiger als die thematische Verwandtschaft mit den russischen Filmen ist die der technischen Durchbildung. Wie die Bildfolgen geführt werden müssen, wie ausgewählte Einzelheiten die Totalerscheinung vermitteln können, wie mit Kontrasten zu arbeiten ist und verschiedene soziale Umwelten zu symbolisieren sind – das alles ist von den Russen gelernt. Zu sehen sind: verkümmerte Glieder, alte Weiber und Männer, deren Züge ergreifen, eine verblödete Rübezahlfigur, ein holzgeschnitztes Pietistengesicht, ein Hundebraten, die kleinen Katen, ein Staketenzaun. Ein armer Junge träumt in die Baumwipfel der Chaussee hinein und reitet auf dem Schaukelpferd des Fabrikantenkindes. Weberbeine schreiten, das Massenhafte regt sich.

Das ist vortrefflich gelernt. Überdies wirken erste Kräfte mit: Wegener, Theodor Laos, Dagny Servaes. Ein guter Film, gewiß. Dennoch erreicht er seine Muster nicht, und gerade das Wenige, das ihm fehlt, ist entscheidend. Hinter den Ansammlungen der armen schlesischen Hungerkünstler ist das Walten des geschulten Regisseurs zu spüren, der die Gruppen effektvoll stellt. Unentwickelt ist die Kunst der Raumbeherrschung, die den Russen eignet (wenn sie Militär marschieren lassen, dröhnt der Platz, während in dem deutschen Film die Soldaten nur marschieren). Schließlich sind die einzelnen Szenen nicht durchaus peinlich gegeneinander abgewogen. Es werden Reprisen ohne gehörige Steigerung vorgenommen – das wiederholte Läuten der Sturmglocken, das Hervorströmen der Aufständischen aus den Hütten –, es wird, wie im Falle der Plünderung, die Kleinmalerei viel zu ausführlich betrieben. Diese formalen Unsicherheiten sind das Merkmal einer Schwäche, die tiefer liegt. Man hat, überschwenglich genug, dem Film den Ehrentitel des "deutschen Potemkin" verliehen. Er ist es nicht, denn er betrifft uns nicht mehr unmittelbar. Der Schiffsarzt aus dem "Potemkin" lebt noch heute, und der Fabrikant in dem Film "Mutter" stammt aus der Maschinenzeit. Die Empörung wider die durch beide Gestalten bezeichneten Herrschaftsverhältnisse greift in die Gegenwart.

"Die Weber" dagegen – der Film, nicht das Drama, für das andere Maßstäbe gelten – gehören ganz und gar der Vergangenheit an. Sie spielen in der Zeit des Übergangs von der Manufaktur zur Fabrik. Die damals verübten Schändlichkeiten sind durch die Sozialpolitik und die Gewerkschaften erledigt, und jeder Arbeiter weiß nachgerade, daß die Maschinenstürmerei eine Kinderkrankheit war. Das hat mit uns so wenig zu tun wie der Biedermeierfabrikant, der Polizeiwachtmeister im Schnurrbart, der romantische König und das altmodische Militär. Das ist so endgültig dahin, daß es nicht nur nicht revolutionär wirkt, sondern, im Gegenteil, veranschaulichen mag, wie herrlich sich die Zeiten verändert haben. Ein anständiger historischer Film; nicht mehr.

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände.

© Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Rechtsstatus