Von Richtern und anderen Sympathisanten

BR Deutschland 1981/1982 Dokumentarfilm

Von Richtern und anderen Sympathisanten


Wilhelm Bettecken, film-dienst, Nr. 12, 15.06.1982

Die Fakten sind ein Skandal: Deutsche Richter an Sondergerichten und am Volksgerichtshof fällten in der Zeit des Nationalsozialismus im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten über 1.600 Todesurteile, zum Teil aus Gründen, die nur als läppisch bezeichnet werden können. Und nahezu alle diese Richter und Staatsanwälte sind nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wieder in den aktiven Dienst eingestellt worden. Aufgabe der Sondergerichte war es, jeglichen Widerstand gegen den Staat und auch die Partei im Ansatz zu brechen. So konnte schon ein politischer Witz – es kursierten zahllose Witze – zur Anklage wegen „Defaitismus“ oder „Zersetzung“ führen. Offen erklärte der Präsident des 1934 geschaffenen Volksgerichtshofes, Roland Freisler, diese Behörde müsse „die Ahndung auch einer nicht ausdrücklich für strafbar erklärten Handlung“ möglich machen, „wenn es der gesunden Volksanschauung“ entspräche. Die Richter, die in der Bundesrepublik Deutschland wieder in den Justizdienst übernommen worden sind, hätten damals nach geltendem Recht geurteilt, hieß es. So wurden nur die Gesetzgeber von damals auf die Anklagebank gesetzt, nicht aber die Richter, die lediglich als ausführende Organe angesehen wurden.

Natürlich, daß diese Tatsachen vielen, vor allem jungen Menschen unverständlich erscheinen. Da ist die Gerichtsreporterin Peggy Parnass, Jüdin, deren Familie unter der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten Blutopfer gebracht hat. Sie hat die Tätigkeit früherer NS-Richter beobachtet und registriert. Da ist der Autor Axel Engstfeld, seit 1976 im Filmgeschäft, vor allem mit Dokumentationen fürs Fernsehen. Er ließ sich von den Fakten inspirieren. So entstand dieser Film. Mit Ausschnitten aus den überlieferten NS-Filmen „Verräter vor dem Volksgerichtshof“ (mit versteckten Kameras für den „Führer“ gedreht), „Geheime Reichssache“ und aus Wochenschauen sowie mit Tondokumenten (Reden von Hermann Göring und Reichsjustizminister Hans Franz vor der Akademie für deutsches Recht sowie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels) belegt Engstfeld die damalige Rechtsauffassung. Er läßt eine Frau zu Wort kommen, die sich an einen Prozeß vor dem Volksgerichtshof 1944 um eine Nichtigkeit erinnert. Er bringt einen ehemaligen Staatsanwalt beim Sondergericht in Bromberg vor die Kamera, der ungerührt bekennt, er habe kein schlechtes Gewissen bei seinen Urteilen gehabt; die Vollstreckung der Todesurteile sei allenfalls ein ästhetisches Problem gewesen. Und Engstfeld läßt schließlich Peggy Parnass aus ihrem Buch „Prozesse 1970-1978“ zitieren. Eingeblendet werden Fotos von (im Ruhestand lebenden) Richtern und Staatsanwälten, die jeweils eine beträchtliche Anzahl von Unrechtsurteilen auf dem Kerbholz haben. „Roß und Reiter“ werden genannt.

Diese Aufzählung mag bereits die unterschiedliche Qualität der nach Fernsehmanier zusammengestellten Aussagen belegen. So richtig der Ansatz ist, einem Staat vorzuhalten, daß er Juristen in seinen Dienst genommen hat, die sich von einem Terrorregime haben korrumpieren lassen und über Nacht ‚gute Demokraten‘ wurden, so bedenklich ist die Attacke gegen die Justiz allgemein. Immerhin ist sie eine der drei staatstragenden Säulen. Auch in der Demokratie mag es „schwarze Schafe“ unter den Juristen geben, aber auch in der NS-Zeit gab es Richter und Staatsanwälte, die ihre Aufgabe redlich – auf die Gefahr der Entfernung aus dem Dienst hin – erfüllt haben. Peggy Parnass betont, daß die NS-Richter „ihre Gesinnung an die jungen Richter und auch an die Anwaltsgeneration“ weitergegeben haben. Das bestätigt auch Richter Ulrich Vultejus, Hildesheim, allerdings ohne es zu belegen. So wird der Film zu einem Propagandafilm, dem es nicht um das objektive Aufspüren einer Situation, sondern um den Beweis einer vorhandenen Meinung geht. Das ist aus der Analyse des zum Teil äußerst suggestiv angelegten Films eindeutig zu belegen.

Bereits die Titelgestaltung (und auf dieser Basis auch die Werbung) beweist das: während das Wort „Richtern“ in schönster Fraktur gestaltet ist, wie sie von den Nationalsozialisten als „deutsche Schrift“ kultiviert worden ist, folgt in moderner (zeitgemäßer) Antiqua der Rest des Titels. Während Göring davon redet, daß nun endlich deutsches Recht verwirklicht würde, fährt die Kamera durch den imposanten Kuppelbau des Hamburger Oberlandesgerichts. Die gleiche Fahrt ist Hintergrund für die Rede eines Richters bei der Vereidigung von jungen Richtern. Was darin von der Schönheit des Berufes gesagt wird, kann in dieser Präsentation nur ironisch aufgefaßt werden. Die Justiz im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, die Justiz in der Demokratie auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, sie stellt ihre Fahne immer nach dem Wind – das versucht der Film manipulatorisch zu belegen. So werden Urteile zitiert, etwa gegen einen Schwarzfahrer oder einen Demonstranten, die Empörung hervorrufen. Da die Urteilsgründe verschwiegen werden, ist dem nüchternen Zuschauer eine Beurteilung nicht möglich. Fazit: Ein zwar engagierter, aber ärgerlicher Film, der im Grunde das tut, was er den Juristen vorwirft: Um sein Ziel zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht.

Ein unübliches Nachwort: Der Film hat den ,Deutschen Filmpreis‘ zuerkannt bekommen. In einem Hörfunkinterview, in dem Autor Engstfeld bestätigte, er habe die deutsche Justiz treffen wollen, antwortete er auf die Frage, ob er denn von diesem Staat, den er attackiere, den Filmpreis annehmen wolle, uneingeschränkt ja, denn der Preis versetze ihn in die Lage, einen neuen Film produzieren zu können.

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