Anna Boleyn

Deutschland 1920 Spielfilm

Lubitsch contra Ewers


Ernst Lubitsch, Lichtbild-Bühne, Nr. 52, 25.12.1920

Sehr geehrte Redaktion!

Mit großem Interesse habe ich den Aufsatz von Herrn Hanns Heinz Ewers über den von mir inszenierten Film "Anna Boleyn" gelesen und ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß die künstlerischen Qualitäten des Films den Beifall Ihres Referenten gefunden haben. Da ich allein die Verantwortung für die vielen Millionen trage, die mir von der Ufa für diesen Film zur Verfügung gestellt worden sind, so gestatten Sie mir, auf einige Punkte näher einzugehen.

Ihr Referent sagt mit absoluter Bestimmtheit, daß dieser Film ein Fehlschlag ist. Ob dieser Film ein Fehlschlag ist, darüber kann meiner Meinung nach Herr Hanns Heinz Ewers kein apodiktisches Urteil fällen, sondern einzig und allein die Geschäftsbücher der Ufa werden nach einem Jahr darüber Rechnung legen. Ihr Referent leitet seine Kompetenz aus einer mehrjährigen Anwesenheit in Amerika her. Es muß mir gestattet sein, einige Skepsis gegen dieses Urteil zu hegen, da prominente Vertreter der amerikanischen Filmindustrie, die mit den dortigen Filmverhältnissen weit mehr vertraut sind als Ihr Referent, Männer des öffentlichen amerikanischen Lebens, ihre Anerkennung über diesen Film mir und allen gegenüber in, ich muß sagen enthusiastischer Form geäußert haben. Es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, darauf hinzuweisen, daß der Tenor dieses Urteils immer wieder dieser war, daß dieser Film gerade für das amerikanische Geschäft von ganz außerordentlicher Bedeutung sei. Die Argumente Ihres Referenten sind von den Tatsachen längst überholt. Er schreibt, z. B., daß das ausländische Publikum den Film schon allein aus dem Grunde boykottieren würde, weil eine deutsche Firma englische Geschichte verfilmt hat. Das ist eine Naivität. Der Erfolg des Films "Madame Dubarry" in Amerika enthebt mich jeden Kommentars. Vielleicht darf ich zur Information Ihrer Leser hinzufügen, daß "Madame Dubarry", der ja auch die Verfilmung fremdländischer Geschichte durch eine deutsche Firma darstellt, mit größtem Erfolg in dem ersten neuerbauten Capitol-Theatre in New-York läuft, nachdem er wochenlang im Strand-Theatre auf dem Broadway volle Häuser erzielt hat.

Ihr Referent erblickt ferner in der Verfilmung englischer Geschichte unsererseits einen Versuch, sich liebdienerisch einzuschmeicheln. Wer den Film "Anna Boleyn" gesehen hat, wird kaum auf den Gedanken kommen, daß wir die englische Geschichte dazu benutzt haben, um uns in unterwürfiger Form in die Gunst des ausländischen Publikums einzuschmeicheln. Die Geschichte der Völker gehört der Welt, und ich gedenke, mir meine Themen dort zu wählen, wo ich die fruchtbarsten Möglichkeiten für meine Arbeit sehe. Ihr Referent meint ferner, daß der Aufbau, die Regie und die Darstellung des Films künstlerisch einwandfrei, aber nicht genug Konzessionen an den Auslandsgeschmack stellt. lch möchte Ihrem Referenten darauf antworten, daß der deutsche Film nur dann einen Erfolg haben wird, wenn er es vermeidet, das Ausland zu kopieren; denn dazu brauchen die Ausländer unsere Films nicht! Ich sehe den Welterfolg des deutschen Films darin, daß er selbstschöpferisch sich auf eigene Füße stellt und somit dem ausländischen Repertoire eine Abwechslung bietet. Die bisherigen Erfolge, die ich mit einem großen Teil meiner Films im Ausland gehabt habe, bestärken mich in meiner Meinung, daß ich den richtigen Weg gehe.

Gestatten Sie mir noch, Sie auf einen Punkt hinzuweisen, den ich mit außerordentlicher Befremdung zur Kenntnis genommen habe. Herr Hanns Heinz Ewers hat es für richtig befunden, nachdem er einige Seiten über den Film "Anna Boleyn" gesprochen hat, über den großen Welterfolg seines eigenen Films "Der Student von Prag" (dessen Hauptanteil Paul Wegener gebührt) zu berichten. Es galt bisher nicht für besonders vornehm, auf Grund der Ablehnung eines anderen Werkes sein eigenes anzupreisen. Jedenfalls hat Herr Hanns Heinz Ewers den Zweck erreicht: die Filmindustrie weiß, daß er wieder da ist!

Und wenn er am Schluß schreibt: "vielleicht veranlaßt das einige der Häupter der Filmindustrie, sich auf sich selbst zu besinnen", so ist ihm offensichtlich ein kleiner Schreibfehler unterlaufen; es soll wohl vielmehr heißen: "auf mich selbst zu besinnen!"

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