Inhalt
Düsseldorf, Anfang der 1970er Jahre. Der junge, introvertierte Beuys-Schüler Hans lernt Ruth kennen, eine jugendliche Streunerin, die in einem Stadtpark lebt. Fasziniert von ihr, macht er Ruth zum Motiv seiner Videoarbeit und nimmt sie bei sich auf. Ruth wächst schnell in die Künstlerszene um Hans hinein, sie nimmt einen Job als Aktmodell an der Akademie an. Doch Hans misstraut ihrem neuen Leben, er argwöhnt, dass Ruth mit der Wandlung zum "Glamourgirl" nur vor sich selbst flieht. Für ihn bleibt sie das rätselhafte, verirrte Mädchen, in das er sich insgeheim verliebt hatte, ein Sujet, das er mit niemandem teilen will. Eifersüchtig auf seinen besten Freund Philipp, sperrt er Ruth im Atelier ein, um – wie er glaubt – im Reagenzglas der Kunst ihr Geheimnis zu erforschen. Mit diesem Experiment geraten ihm Kunst und Leben unauflösbar durcheinander.
Auf dem Hintergrund der skeptischen post-68er-Jahre zeichnet "Das schlafende Mädchen" ein Porträt zweier ungleicher Einzelgänger, die in ihrem beschädigten Leben vergeblich aneinander Halt suchen. Im Stil eines selbstrefexiven Videoexperiments, aber mit dramatischen Mitteln des narrativen Kinos, lässt der Film eine Zeit lebendig werden, in der die ersten portablen Videosysteme unter Künstlern populär wurden und sich parallel zur aufkommenden Videokultur eine wichtige Epoche der Performance- Kunst ausformte.
"Das schlafende Mädchen" ist ein fiktiver Künstlerfilm. Sein dokumentarischer Stil grundiert die psychologische Bewegung der Geschichte, er ist organischer Bestandteil der Erzählung. Wir erleben das Geschehen über Hans’ Blick darauf, jedem Bild ist sein künstlerischer Wille aufgeprägt – es ist Hans’ Film, den wir sehen. Die dramatische Handlung ereignet sich an der Reibungsstelle zwischen Hans’ Absicht und dem Unvorhergesehenen, das ohne – und oft gegen – sein Zutun eintritt. So erzählt der Film von Hans’ Kontrollverlust über seine Inszenierung, wir nehmen teil an einem Kampf um die Bilderhoheit, einem Kampf mit der Wirklichkeit des Ereignisses, dessen zentrale Gestalt Ruth ist.
Hans’ künstlerisches Programm ist dabei kein protokollarisches: als Aktionskünstler ist er selbst Protagonist seiner Bilder, in seinen Selbstinszenierungen untersucht er elementare Eigenheiten des Mediums – Figur im Raum, Verhältnis von Bildraum zu realem Raum – und seine eigene Beziehung dazu. Wie der jung verstorbene holländische Künstler Bas Jan Ader, mein historisches Vorbild, erschafft Hans sich selbst als melancholisch-ironische, Buster-Keaton-artige Kunstfigur, die den Widrigkeiten der Realität mit stoischer Duldung begegnet und so in der Konsequenz ganz wirklich zum Spielball wird. Hans’ Film ist also immer auch ein Projekt der Selbsterforschung, in dem die Differenz zwischen Kunstfigur und realem Hans den Funken zur dramatischen Handlung schlägt.
Rainer Kirberg
Quelle: 61. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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