Otto - Der Film
Otto – der Film
Detlef Kühn, epd Film, Nr. 9, September 1985
Otto schickt sich an, nun auch alle Kinorekorde zu brechen. Innerhalb von nur vier Wochen nach der Uraufführung in Otto Gerhard Waalkes Geburtsstadt Emden lockte "Otto – der Film" bereits 4,5 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser. Otto ist Erfolg gewohnt: 5,5 Millionen Platten hat er verkauft, fast eine Million Bücher und 1,5 Millionen Eintrittskarten für seine Bühnenauftritte. Bei seinen Fernsehshows sieht ihm die halbe Nation zu. Nun macht er sich daran zu beweisen, daß es zumindest für Leute seines Schlages auch keine Kinokrise gibt.
Ottos Debüt als Leinwandheld und Regisseur hat auf die bundesdeutschen Medien elektrisierend gewirkt. Vom Spiegel bis zur Bunten, von Tagesthemen bis Heute, von "Verstehen Sie Spaß?" bis zum Aktuellen Sportstudio – man schmückte sich mit Otto und steigerte mit seiner Hilfe Verkaufszahlen und Einschaltquoten. Doch nach all den Vorschußlorbeeren gab es für den neuen Leinwanderoberer seit jener denkwürdigen ostfriesischen Premiere im Hollywoodstil mehr oder weniger kräftig einen auf den Hut.
Die Frankfurter Rundschau verbannte den Otto-Film in die Rubrik "uninteressant". Die Süddeutsche Zeitung bemängelte, daß es auch Otto nicht geschafft habe, die "seit vielen Jahren inständig erhoffte" deutsche Filmkomödie zustande zu bringen. Eine Kritikerin der FAZ sah gar eine "unfreiwillige Dokumentation vom geistigen Verfall eines vordem kreativ-kritischen Witzboldes" und einen "prekären Kreislauf des "Kloakenhumors".
Vor allem zwei Probleme stehen im Mittelpunkt der cineastischen Otto-Rezeption: das Verhältnis der Otto von seinem Gag-Team Gernhardt, Knorr und Eilert auf den Leib geschriebenen sketchartigen Szenen zur Rahmenhandlung sowie die seit jeher von politischen Otto-Fans diskutierte Frage, ob der Clown aus Ostfriesland nicht doch etwas gesellschaftskritischer, böser sein müßte, statt einfach nur Quatsch zu machen.
In der Tat: Die Rahmenhandlung der Komödie ist recht grob gestrickt. Die Geschichte von Ottos wenig triumphalem Einzug in die bedrohliche Großstadt Hamburg, sein Kampf mit dem Kredithai Shark und sein ungeschicktes, aber erfolgreiches Liebeswerben um die schöne und reiche Silvia von Kohlen und Reibach lassen bis zum Happy-End auf einer Südseeinsel genug Raum für groteske Nummern mit jener für Otto typischen Mischung von Parodie, Klamauk, Däm- und Dümmlichkeiten, Witzigem und Zotigem. Eine Mischung, die oft genug und auch in diesem Film satirische Schärfe erreicht. Aber die triviale Liebes- und Kriminalgeschichte mit dem seelischen Tiefgang und der Raffinesse eines Lore-Groschenromans gibt den Sketchen wenn auch nicht völlig sicheren, so doch insgesamt festen Halt. Die Frage ist, ob eine Komödie von und mit Otto überhaupt darauf verzichten kann, die Gier des Publikums nach dem gewohnten Nonsens auch mit Ottos bewährten humoristischen Amokläufen zu befriedigen. Soviel Selbstbescheidung wie in der bemerkenswerten Rotwein-Szene mit Johannes Heesters würde wohl auf Dauer nicht bekömmlich sein. Otto in eine "richtige" Geschichte zu integrieren, in eine Komödie, die aus sich selbst heraus funktioniert, könnte wohl gelingen, würde uns aber Otto zum weitgehenden Verzicht auf den Otto-Touch nötigen.
Und Otto als Gesellschaftskritiker? Politik läßt er bekanntlich lieber außen vor. Gemeinsam mit seinem tüchtigen Manager zielt er eingestandenermaßen auf ein breites Publikum und dessen Geldbeutel. "Ich bin kein Kabarettist, ich bin Komiker", hat Otto klargestellt. Und doch: Seit Otto 1973 durch das Fernsehen bundesweit Berühmtheit zu erlangen begann, haben die Deutschen das, was sie schon lange verdienen. Jemanden, der sich in der Art eines Eulenspiegels uneingeschränkt über sie lustig macht.
Das Bemerkenswerte ist, daß ihm alle verzeihen. Nicht nur, weil er sich mit seinem zappeligen, grimassierenden und letztlich infantil wirkenden Auftreten gleichsam aus der Verantwortung für seine Bosheiten (und Geschmacklosigkeiten) herausstiehlt. Auch, weil er ja alle durch den Kakao zieht. So verdrängt die Schadenfreude eigene Betroffenheit. Dies mag die verändernde Kraft der Satire dämpfen, den Spießer nicht sofort an seinem Spießertum irre werden lassen. Es berechtigt aber nicht zu dem Vorwurf, Otto und seinen Gaglieferanten fehle es am kritischen Blick auf die Bürger und ihre Republik.
Im Gegensatz zu einem kuscheligen weißen Hasen, der liebenden Silvia, dem liebenswerten "Otti", den Eskimos, Rockern, Clochards und anderen guten Seelen kommen in Ottos Film einige gar nicht gut weg, unübersehbar und sicherlich nicht nur aus Jux und Dollerei: Ottos und unser aller Egoismus und Materialismus, Humphrey Bogart und das Mackertum, die Hautevolee, deutsches Vereins- und Karnevalswesen, Heino und das deutsch-nationale Lied, deutsche Korrektheit auch bei Gesetzesverstößen, die latente deutsche Sklavenhalter- und Übermenschenmentalität... "Otto – der Film" kann sicher noch nicht für die neue, erwartete deutsche Filmkomödie stehen, von der immer noch keiner weiß, wie sie aussehen wird. Falls es sie irgendwann als Genre wirklich geben sollte, wird man Ottos Erstling wohl aber als gelungenes Exemplar dazuzählen können. Auch dank der sorgfältigen Kameraführung von Co-Regisseur Xaver Schwarzenberger, dessen Bilder die krause Geschichte mittragen, immer wieder etwas wirklicher machen und die nicht, wie leider in allzu vielen "leichten" Filmen üblich, beiläufig oder zufällig wirken.
Eine Komödie, kein Klamauk, keine bloße Nummern-Revue ist es, weil Otto schon etwas sehr Wichtiges gelang, nämlich seine hemmungslose Bereitschaft zum Unsinn zugunsten der Filmstory ein gut Teil zu disziplinieren. Dies, ohne dabei – im Schutze seiner in 15 Jahren erworbenen Narrenfreiheit – die so spontan wirkenden und doch ausgeklügelten anarchisch-infantilen Angriffe nicht nur auf die Lachmuskeln zu stark zu dosieren.