Härtetest

Deutschland 1996/1997 Spielfilm

Härtetest



Kai Mihm, epd Film, Nr. 4, April 1998


Eigentlich wollte Jonas (Janek Rieke) seine Freundin zu ihrem Geburtstag mit einer Party überraschen. Aber die Überraschung ist auf Seiten der Freundin, denn sie kommt nicht allein nach Hause, sondern in Begleitung ihres Liebhabers, der ihr schon im Flur an die Wäsche geht. Mit Jonas" kleinlauter Reaktion auf diese Entdeckung wird knapp, aber deutlich sein Hauptcharakterzug vermittelt: Jonas ist ein Feigling. Außerdem ist er Allergiker, hat Phobien, wohnt mit 26 noch bei Muttern, wird vom herrischen Vater, einem reichen Reeder, regelmäßig zur Schnecke gemacht und ist eigentlich kaum alleine überlebensfähig. "Zuerst fand ich das ja niedlich, aber...", begründet seine Freundin die Hinwendung zu ihrem draufgängerischen Lover.

Nun ist Jonas wieder solo, die Versuche zweier Freunde, ihn zu verkuppeln, scheitern kläglich. Ein wenig erinnert diese Ausgangssituation an Herbert Ross" "Play It Again, Sam" mit Woody Allen. Jonas ist bei Annäherungsversuchen und in Konfliktsituationen ähnlich linkisch und verkrampft wie Allen, auch wenn er vom Aussehen her dem Idealbild des Schwiegersohns entspricht: hübsch, blond, ordentlich frisiert, anständig gekleidet, immer höflich und zurückhaltend. Nur eben nicht gerade ein Typ, der Frauen auch mal schützend in den Arm nehmen kann.

Dann trifft er Lena (Lisa Martinek). Es regnet, Lena nestelt am Schloß ihres Fahrrades herum, Jonas geht mit seinem Schirm zu ihr, schützt sie vor der kalten Nässe. Sie blickt auf, durchnäßt, lächelt, freut sich über seine schüchterne Hilfsbereitschaft – es funkt zwischen den beiden, das spürt man sofort. Eine romantische Szene, doch mehr als ein Hauch auf die Wange und ein Disco-Flyer ist für Jonas nicht drin. Aber diesmal nutzt er die Chance; er trifft Lena wieder, erkennt jedoch sehr schnell, daß er der Öko-Frau nicht unbedingt erzählen sollte, daß sein Vater vornehmlich Ölgeschäfte abwickelt, mit Kuweit und Saudi-Arabien. Dabei ist Jonas" gluckenhafte Mutter eine viel größere Gefahr, was sich während des ersten gemeinsamen Abendessens amüsant bemerkbar macht.

In Lenas WG ist die Toleranz allerdings kaum größer. Max, ein eifersüchtiger Mitbewohner, hält Jonas sofort für ein verwöhntes "Weichei". Es gelingt ihm sogar, Lena zu überzeugen, erstmal zu testen, ob ihr "Neuer" auch ein ganzer Kerl ist, bevor sie mit ihm ins Bett geht. Das Sympathische an dem Film ist aber gerade die Verweigerung, Jonas diesen "Härtetest" bestehen zu lassen. Er meistert zwar so ziemlich jede Situation, aber letztlich wird klar, daß Lena ihn so liebt wie er ist. Lachhaft oder unsympathisch sind eher die "männlichen" Männer um die beiden herum, sei es nun Jonas" Freund, der nie um einen derben Spruch verlegen ist, oder Lenas WG-Genosse mit dem durchtrainierten Körper. Trotz solcher offensichtlichen Kontraste in der Figurenzeichnung wirkt der Film nie moralisierend oder übermäßig klischeehaft, im Gegenteil: Die Charaktere und Situationen scheinen – speziell für einen deutschen Kinofilm – ausgesprochen lebensecht und natürlich. Eine kleine Zuspitzung hier und eine Überzeichnung dort genügen Rieke, um den Personen humorvolle Seiten abzugewinnen.

Wieviel Autobiographisches der 26jährige Rieke dabei in sein Kinodebüt eingebaut hat, wird durch die namentliche Ähnlichkeit von Regisseur und Hauptfigur (Jonas/Janek) und die zahlreichen Kindheitsfotos im Prolog des Films (ganz offensichtlich Bilder aus Riekes eigener Jugend) angedeutet. Neben dieser persönlichen Note sind es vor allem kleine Seitenhiebe auf die Alternativ-Szene und die Wirtschaftswelt sowie liebevolle Details in der Gestaltung, die "Härtetest" bereichern. Ein Skinhead etwa trägt ein Sweatshirt, auf das ein (deutscher?) Hirsch gedruckt ist und fährt stilecht einen auf Hochglanz polierten Ford Taunus, sein ganzer Stolz.

Schwächen zeigt Rieke lediglich, wenn er mit unnötigem Klamauk auf Lacher zielt, so etwa wenn Jonas in Slapstick-Manier vier Skinheads ausschaltet. Derlei aufdringliche Szenen hätte der Film nicht nötig, Dialogwitz und subtile Situationskomik gibt es ohnehin zur Genüge. Und obwohl der Verlauf der Geschichte vorhersehbar ist, erzählt Rieke die alte Geschichte "Boy Meets Girl" so natürlich und frisch, daß die Freude überwiegt, Jonas und Lena beim Verliebtsein zuzusehen.

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