Ab heute erwachsen

DDR 1985/1986 Spielfilm

Ab heute erwachsen


Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 14, 1985


Im Film werden Texte aus Songs der Rockszene zitiert. Etwa "Die Kinderzeit ist vorbei: der Märchenbaum ist entlaubt … John Lennon und Victor Jara – so ehrlich muß ein Lied sein". Oder: "Die Ferne ist, wo ich nicht bin, ich geh und geh und komm nicht hin." In diesen Texten werden Anspruch und Vorhaben des Films recht plastisch und vielversprechend formuliert. Nur bleiben sie leider ein platonisches Versprechen.

Schon nach einer Viertelstunde ist die Grundsituation erschöpfend vorgestellt, ist der Selbständigkeitsdrang des 18 Jahre alt werdenden Helden (David C. Bunners) artikuliert, sind die Spielregeln offenbart. Mehr kommt nicht hinzu, abgesehen von einem eher anekdotischen Summieren von ein paar Stationen, austauschbar und flüchtig. Hurtig geht es vorbei an der Station des "letzten Mannes", an einer feministisch angehauchten Wohnkommune, an der schmierig-einträglichen Existenz eines Graubaum (Kurt Böwe). Sozial Verbindliches ist nur zu ahnen, zu mutmaßen auch nur die Spuren auf Haut und Seele unseres Mini-Parzifal. Ein Entwurf, nicht mehr, bei dem nur positiv anzumerken wäre, daß er überhaupt sich einlassen will mit gegenwärtigem Alltag.

Eine allgemeinere Marginalie sei gestattet. Cesare Zavattini, der immer wieder nachgedacht hat über die Aufmerksamkeit gegenüber dem, was unmittelbar da ist, die Realität also, schrieb 1953: "Im wesentlichen geht es heute nicht mehr darum, erfundene Dinge Wirklichkeit werden zu lassen … sondern die Dinge, wie sie sind, fast allein sprechen zu lassen." Zavattini sprach von einer Darstellung der Realität als sei sie eine Geschichte. Der mehrfach wiederholte Hinweis auf die "Bedeutsamkeit" scheint mir das deutliche Markieren einer moralischen und ästhetischen Position des Filmemachens, die sich nicht nur im Erhaschen von Wirklichkeitspartikeln erschöpft. Zavattinis vor reichlich dreißig Jahren fixierten Gedanken betrachte ich als geeignet, die Problematik einiger Gegenwartsfilme unserer jüngsten Produktion sinnfällig zu machen. Gunther Scholz" Film ist ein weiterer Beleg. Wir erleben Geschichten einer Annäherung an die Realität oder Geschichten mit erkennbaren authentischen Spuren. Aber diese Annäherung erreicht in keinem Fall die Tragfähigkeit einer künstlerischen Idee, die überhöhende Wirkung eines Sinn-Bildes für unsere Zeit und die in ihr stattfindenden sozialen Prozesse. Das Alltägliche gerinnt zum Durchschnittlichen, die Gefahren der Banalität werden allzu spürbar.


Es ist wohl kein Zufall oder Indiz für eine spezifische Affinität des jeweiligen Autors oder Regisseurs mehr, daß die Tendenz zum Episodischen vorrangig ist, dass Episodisches wie an einer Perlenkette aufgerädelt wird. Es bleibt der Eindruck einer fatalen linearen Struktur, eines schematischen Nacheinander. Es verweben sich weder Sujetlinien, noch kommt es zu einem dialektischen Austausch von Motiven. "Ab heute erwachsen" hat so durchaus symptomatischen Charakter – "Ich geh und geh und komm nicht hin." Ich glaube nicht, daß Filme eines solchen "Modells" zu Entdeckungen unserer Wirklichkeit führen. lm besten Falle wird Bekanntes auf bekannte Weise ins Bild gesetzt.

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