Sabine Kleist, 7 Jahre

DDR 1981/1982 Spielfilm

Den anderen achten. "Sabine Kleist, 7 Jahre…"


Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 19, 1982


Ich sah diesen Film in einer alltäglichen Nachmittagsvorstellung inmitten vieler -Eltern mit ihren Sprößlingen: Gespannte Aufmerksamkeit bis zum Schluß. Eine gute Stimmung.

Dieser leise, behutsame Film braucht Anteilnahme. Lebhafter Austausch zwischen Eltern und Kindern wird mit Sicherheit daheim einsetzen. Jeder wird durch diesen Film "weiterkommen". Ich wage diese optimistische Prognose, weil die Botschaft des Films und die Erzählweise, mittels der sie weitergegeben wird, sehr zwingend sind: leis und mit Achtung vor jedem ehrlichen Menschen, mit vielen wiederzuerkennenden Details, Reaktionen, Farben. Das Waisenkind Sabine (glänzend ausgesucht und geführt von Regisseur Helmut Dziuba: Petra Lämmel), sehr sensibel und empfindsam, lehnt heftig, freilich ohne Grund, die neue Erzieherin ab (die bisherige – Edith, gespielt von Simone von Zglinicki – erwartet ein eigenes Kind, will aber Sabine immer liebhaben. So sagt sie. So glaubt es ihr Sabine jedoch nicht.) Sabines Ablehnung schlägt um: sie flieht aus dem Heim und stromert durch Berlin. Eigentlich ziellos, aber im Innern auf der Suche nach einem Halt, genannt Familie oder Mutter oder – so die Psychologen – Bezugs-, Identifikationsfigur. Wie auf der Perlenschnur sind nun diverse Erlebnisse des Kindes aneinandergereiht. Manche dieser Episoden sind austauschbar. Ebenso könnte ihre Reihenfolge variiert werden. Einzelne könnten auch schlüssiger, mit stärkerer innerer Logik gestaltet sein. Aber Dziuba erfaßt in der Summe dieser Szenchen und Begegnungen doch jenes Geflecht, jenes Ineinander-Verwobensein von Eindruck und Aktion, Einsicht und Tat, von Anreiz, Schreck, Enttäuschung und Ermutigung, die das wache Kind in seiner tiefen Verletzung sachte formt und am Ende aus seiner kindlich-verbockten Isolation herausführt. Der dramaturgisch durchaus sichere, einfühlsame Bau der Handlung wird durch Gespür für Stimmung, für Atmosphärisches im Erlebnis- und Empfindungsbereich einer Siebenjährigen immerzu weiter gestärkt. Hier bilden Buch und Regie eine plausible, anrührende Einheit. Die anderen Figuren ordnen sich dem Hauptvorgang zu: karg, jedoch nicht ohne eigenen Reiz, lebendig und einfach, gestützt durch eine Besetzung, die Profile der Rolle und Typisches des Darstellers vereint. Dziuba erleichtert sich seine Arbeit, indem er nahezu alle Szenen dokumentarisch echt "ins Leben" versetzt und sie von seinem Kameramann Helmut Bergmann "von dort" herausholen läßt. Das schafft – auch für die Kinder – Lockerheit und Schlichtheit, die das bedeutungsvolle "Nebenbei" nicht scheut. Dieser Art Beobachtung folgt man gern, weil sie Achtung vor dem Anderen von der Leinwand herab direkt vermittelt. Nur ganz Hartgesottene oder Aggressive können sich dem entziehen, denke ich. Die freundlich-bescheidene Botschaft "Geht behutsam und aufmerksam miteinander um" kommt an.

Deshalb ist es ein nützlicher Film für Kinder wie für Erwachsene, deshalb ist es gut, wenn Eltern ihn gemeinsam mit ihren Kindern besuchen. Deshalb auch ist es ein Film, der ganz aus dem Geist, Sinn und Ziel der in unserem Land forderten und geförderten Art des Miteinander-Umgehens entstand. Möge er vielfach mobilisierend wirken.

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