Rheinsberg
fh, Film-Echo, 02.09.1967
Als Kurt Tucholsky die Novelle "Rheinsberg" schrieb, das zärtliche Abenteuer junger Herzen, war er 22 Jahre alt. Der große Zeitkritiker "Tucho" hatte die Szene noch nicht betreten. Man schrieb das Jahr 1912. Die "Belle Epoque" neigte sich ihrem Ende zu –, zwei Jahre später setzten dieser Zeit die Schüsse von Sarajewo den Schlußpunkt. In jenen letzten Jahren vor dem ersten Weltkrieg also spielt die Geschichte, in der sich nicht nur ein privates Erlebnis spiegelt –, das Klima der Zeit – die von Tucholsky niemals fixiert ist – ist in dieser Novelle doch unverwechselbar angesprochen. Dennoch ist die Geschichte über alle Zeitmoden hinweg gültig geblieben. Das "Bilderbuch für Verliebte" ist heute so modern wie damals, vor 55 Jahren, als es entstand. Der Novelle wird heute klassisches Maß, klassischer Rang zugesprochen. Sie hat in einer Zeit, in der die Menschen alle paar Jahre ihren Lebenszuschnitt, ihre Ansprüche ans Dasein änderten, die Zeiten überdauert.
In diesen Gedankengängen bewegte sich das Gespräch; das wir vor einigen Tagen mit Kurt Hoffmann während der Aufnahmen seines Films hatten. Herbert Reinecker hat das Drehbuch geschrieben. Er griff über den Kern der Novelle hinaus und erzählt eine Vorgeschichte der heiter-zärtlichen Ereignisse. Die Liebesepisode in Rheinsberg ist dann die Krönung des Bilderbuchs für Verliebte. Das echte Schloß Rheinsberg stand nach langen Verhandlungen mit der Defa als Schauplatz doch nicht zur Verfügung, es war nicht in filmbrauchbarem Zustand. Schloß Rheinsberg wird nun bei Rastatt stehen, und das wird dem Film gewiß nichts vom Milieu und bestimmt nichts von der Grazie nehmen, die Kurt Tucholsky einst in die Seiten des Buches zauberte.
Wir stehen für ein paar Augenblicke im Zimmer des Mädchens Claire in der elterlichen Wohnung in Berlin. Jugendstil-Atmosphäre umgibt uns –, das Aroma einer Zeit, deren Stil-Ornamente heute wieder favorisiert werden und hoch im Kurse stehen. (Das Berliner Kunstgewerbe-Museum widmete ihnen vor einigen Monaten sogar eine glanzvolle Ausstellung).
In diesem Jugendstil-Zimmer ist alles original aus der Zeit, nichts "nachempfunden". Kurt Hoffmann legt Wert darauf, das alles haargenau "stimmt", auch wenn das Publikum das später nicht bemerkt –, das Atmosphärische wird dadurch dennoch entschieden. Solche Einzelheiten können die künstlerische Glaubwürdigkeit (wer weiß das nicht) beeinflussen, wenn nicht sogar bestimmen. Es war nicht leicht, ein stilreines Zimmer aus fein-bürgerlichem Milieu von Anno 1912 heranzuschaffen. Man fand es schließlich bei einer Berliner Familie, die das Finderglück der Filmleute belohnte und das Zimmer zur Verfügung stellte.
Conny Froboess legt noch letzte Hand an ihr zeitgerechtes Make-up. Sie ist Tucholskys Claire, betreut von Anna, dem dienstbaren Geist, deren Gestalt Herbert Reinecker dazudichtete, wie noch manche Figur in diesem Gespinst aus zärtlicher Komik und graziöser Verliebtheit. Ruth Stephan spielt diese Anna; im Augenblick aber steht sie in der Dienstmädchentracht von 1912 vor dem Ateliertor der Halle III und genießt auf dem CCC-Gelände die "Kühle" des Sommernachmittags, der mit 28 Grad im Schatten nicht Schritt halten kann mit den etwa 45 Grad im Atelier. Chef-Kameramann Richard Angst stimmt die Lichtwirkungen für eine Szene ab, die dann Kurt Hoffmann mit Ehmi Bessel und Werner Hinz, Ehepaar im Leben und in diesem Film, aufnimmt. Werner Hinz, im grauen Gehrock und Plastron, äußert väterlich strenge Ungehaltenheit über die "völlig unangebrachte Lebendigkeit" der Jugend im Nebenzimmer –, die Mama besänftigt ihn. Man spürt auch an dieser winzigen Passage, wie behutsam hier zu Werke gegangen wird. Vierzehn Tage Bauzeit haben genügt, diese auch noch im parodistischen Moment stilgerechte Bürgerwohnung zu erstellen: eine in sich fest ruhende, scheinbar für ein ganzes Leben gedachte "herrschaftliche" Wohnung, keine Spur von Atelier-Provisorium. Sie scheint so endgültig hier zu stehen, daß schwer vorstellbar ist, sie sei längst aufgelöst, wenn "Rheinsberg" am 22. Dezember Premiere hat. Dieser Eindruck gehört ganz einfach dazu: es mußte eben "stimmen", und das Erstrebte hat Architekt Werner Schlichting voll erreicht.
Connys Partner Wolf ist Christian Wolff. Außerdem sind Dinah Hinz, dritte aus der Schauspielerfamilie in diesem Film, Anita Kupsch, aufgehender Stern am Berliner Filmhimmel, Agnes Windeck, Monika Peitsch, Willi Rose, Franz Nicklisch, Karl Hellmer, Werner Stock, Eckehard Fritsch und Herbert Weißbach in Kurt Hoffmanns Ensemble.
Wird der Film ein Gegengewicht zu Agentenwirbel, zu Sex, Crime und Horror sein? Wird er der "Rauhen Welle" Paroli bieten? Die Zeichen deuten darauf hin. Wir wissen ja nicht erst seit heut" und gestern, wie sicher Kurt Hoffmann die schwere Kunst des anspruchsvoll Leichten handhabt. Sie kann namentlich in der heutigen, einseitig orientierten Produktions-Praxis durchaus Gewicht und Macht haben. Nicht zuletzt dieser Atelierbesuch hat das wieder eindrucksvoll bekräftigt.