Inhalt
Dokumentarfilm über den gescheiterten Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR, seine Ursachen und Entstehungsbedingungen, sowie seine Nachwirkungen. Gezeigt werden Originalaufnahmen in Stand- und Bewegtbild, teilweise begleitet durch einen Audiokommentar. Zudem werden Zeitzeug*innen interviewt.
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Die Menschen fliehen in Panik. Fotos zeigen ikonische Bilder von Protestierenden, die sich todesmutig den Panzern entgegenstellen und mit den Sowjetsoldaten sprechen. Einer trägt das Schild „Ende des Demokratischen Sektors“ unterm Arm: Noch war Berlin eine zwar in Sektoren geteilte, aber offene Stadt – und mit dem „demokratischen Sektor“ war die Sowjetische Besatzungszone gemeint. Der Prolog schließt mit Propaganda-Aufmärschen der Regimetreuen: Mit dem Banner „Festes Vertrauen in die Regierung“ ziehen die „Massen“ an Walter Ulbricht vorbei.
Andrea Ritterbuschs 78-minütige Dokumentation, die am 17. Juni 1991 im „Dritten“ des Hessischen Rundfunks erstausgestrahlt wurde und im Oktober 2023 in der Retrospektive der 66. Dok Leipzig läuft, beschränkt sich jedoch nicht auf die minutiöse und nach Möglichkeit republikweite Chronik der Ereignisse. Sondern forscht nach den Hintergründen für diese sich bereits Tage zuvor in mehreren DDR-Bezirken andeutende und dennoch sehr spontane, da nicht zentral geleitete Protestbewegung vor allem der Industriearbeiter, die durch die Erhöhung der Arbeitsnormen um satte zehn Prozent im Mai 1953 ausgelöst wurde.
„Wehe den Besiegten“, produziert von der inzwischen privatwirtschaftlichen GmbH Defa-Studio für Dokumentarfilme (PL Ulrich Menzel), ist ohne politische Rücksichtnahme oder gar staatliche Zensur entstanden und führt noch einmal die Möglichkeiten dieses wenig später aufgelösten Studios vor: Zu den Zeitzeugen des Films gehören die Polizeiwachtmeisterin Margot Hohlfeldt aus Halle/Saale, der Planzenschutzbeauftragte Werner Herbig vom Streikkomitee der Stadt Görlitz, der Streikleiter im Kabelwerk Köpenick, Herbert Buley und Max Fettling, Gewerkschafts-Vorsitzender (BGL) im VEB Industriebau Berlin. Dieser große Schatz an Erfahrungen mit der eigenen Geschichte und der des Landes sowie nicht zuletzt an persönlichen Kontakten der Defa-Filmemacher ist verloren gegangen aus kommerziellen Gründen und politischem Desinteresse.
Andrea Ritterbusch blickt zurück auf 1952, von der DDR im Kampf der Systeme im Kalten Krieg als „Das entscheidende Jahr“ bezeichnet. Walter Ulbricht ruft in der 2. Parteikonferenz zum Aufbau des Sozialismus auf als Antwort zur Adenauer-Politik der West-Integration. Sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wird aufgerüstet und die Landwirtschaft nach dem Vorbild der sowjetischen Kolchosen zwangskollektiviert. Es ist ein besonders heißer Sommer, auch ein enormer Kartoffelkäfer-Befall führt zu Missernten. Bauern fliehen massenweise in den Westen, am Ende des Jahres sind 13 Prozent der Anbaufläche verwaist. Allein im zweiten Halbjahr 1952 stimmen 110.000 Menschen mit den Füßen ab und verlassen den Arbeiter- und Bauernstaat.
Anstatt den Aderlass zum Anlass zu nehmen, die eigene Politik zu überdenken, läuft die Propagandamaschinerie der SED in 1953 weiter heiß. Der Aufbau der Stalinallee wird im Todesjahr des sowjetischen Diktators, das von einer Wirtschaftskrise im ganzen Ostblock geprägt ist, als Beleg für die Überlegenheit des Sozialismus verkauft. Doch sind es gerade die Arbeiter dieses Vorzeigeprojekts, die als Erste gegen die im Mai verkündete Normerhöhung protestieren. Käthe Stern, Redakteurin des SED-Organs „Neues Deutschland“ in der Außenstelle an der Stalinallee, berichtet ihrem Chefredakteur Rudolf Herrnstadt, Mitglied im Politbüro der SED, von der großen Unzufriedenheit unter den Arbeitern. Sie darf einen entsprechenden Artikel im ND veröffentlichen – und ihr Chef wird dafür bereits im Juli 1953 geschasst und in ein Merseburger Archiv verbannt.
Hochinteressante Interna, bisweilen mit für eine Dokumentation allzu launigen, von Klaus Manchen und Hilmar Baumann gesprochenen Kommentaren begleitet, steuert auch Karl Schirdewan, damals Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig und Mitglied im SED-Zentralkomitee, bei: Moskau plädierte Anfang Juni 1953 nach Stalins Tod für eine neue Politik in ihrer Besatzungszone mit freien Wahlen und einem linksliberalen Kurs, um die Option für eine deutsche Wiedervereinigung offen zu halten. Doch Ulbricht traute dem Braten nicht, blieb bei seinem harten Kurs – und war nach Niederschlagung des Volksaufstandes fester denn je im Amt.
Pitt Herrmann