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Der digitale Kapitalismus und die KI verändern die Welt. An der Spitze dieser Entwicklung steht auch Alex Karp, bekannt als "Big Brother". Die von seiner Firma Palantir geschaffene Software "Gotham" gehört zu den weltweit gefragtesten Datenanalyse-Tools und ist gleichzeitig höchst umstritten. Sie befähigt Staaten zur umfassenden Überwachung ihrer Bürger*innen. Gleichzeitig soll sie dem ukrainischen Militär nun einen entscheidenden Vorteil im Krieg verschaffen. Ist "Gotham" nun Fluch oder Segen und wie hält es Alex Karp mit der Ethik oder seinem Machthunger – ist er ein Faust, ein Mephisto oder beides zugleich? Welche Kraft in ihm wirkt stärker: aufklärerischer Anspruch oder Allmachtsphantasien? Der Film ist eine investigative Annäherung an einen globalen Strippenzieher, der es schafft, sich immer dann zu verweigern, wenn das Bild von ihm zu eindeutig wird.
Quelle: DOK.fest München 2024 / Pablo Bücheler
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Bei ihm handelt es sich um den buntschillernden, milliardenschweren US-Unternehmer Alex Karp, der 2003 zusammen mit dem deutschstämmigen Peter Thiel, einem reaktionären Libertären mit recht bizarren Ansichten, der heute offen Donald Trump unterstützt, in Palo Alto die Firma Palantir Technologies gründete. Diese hat die so erfolgreiche wie höchst umstrittene Datenanalyse-Software „Gotham“ entwickelt, welche einerseits Staaten zur umfassenden Überwachung ihrer Bürger befähigt und andererseits Geheimdienste, Militär und Polizeibehörden, letztere auch in Deutschland, mit Informationen unterstützt, die Verbrechen aufklären, aber auch zum gezielten Töten genutzt werden können.
Palantir „macht“ Analyse-Software: Data Mining analysiert wie kein anderes Produkt riesige, unstrukturierte Datenmengen. Dieses Zusammenspiel ermöglicht erst das Erschaffen künstlicher Intelligenzen. Diese Big-Data-Software wird von automatisierten Handelssystemen an Börsen ebenso genutzt wie bei der Aufdeckung von Betrug und bei der Geheimdienstarbeit. Immer geht es darum, in gigantischen Datenmengen die entscheidenden Muster zu finden. Die Kunden in aller Welt schätzen an Palantir besonders die Benutzerfreundlichkeit.
Derzeit ist Palantir wichtiger Partner der Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland. Die Firma ist so verschwiegen wie mysteriös. Sie wurde groß mit ihrer Arbeit für die US-Geheimdienste CIA und NSA. 2020 an die New Yorker Börse gekommen ist sie heute über 50 Milliarden US-Dollar wert. Mit ihrer Hilfe soll Osama Bin Laden zur Strecke gebracht worden sein. Alex Karp, der als CEO die größte kommerzielle Überwachungsfirma der Welt leitet, bezeichnet sich selbst als ehemaliger Neomarxist und ist stolz darauf, dass seine Eltern Hippies waren. Er bekennt trocken: „Unser Produkt kann zum Töten von Menschen eingesetzt werden.“
Alex Karp wuchs an der amerikanischen Ostküste auf. Der Vater Medizin-Professor in Princeton, die Mutter Fotografin. Schon als Kleinkind schleppten sie ihn mit auf Friedensdemos. Gingen für Mitbestimmung von Arbeitern auf die Straße: „Revolutionäre“, wie Karp stolz erzählt. Er hat seinen Master an der Stanford University gemacht, die als die intellektuelle Quelle des Silicon Valley gilt. Als der Doktorand Karp in den 1990ern nach Frankfurt/Main kommt, hat er wenig Geld. Hier lernt er auch den Dokumentarfilmer und Kameramann Thomas Giefer kennen.
„Ich fand ihn lustig und schräg. Vor der Kamera erinnerte er mich mit seiner Zigarre an Groucho Marx. Für mich er war kein blitzender Intellektueller oder ein Superhirn“, erinnert sich Giefer. Von seinem Palantir-Mitgründer Thiel sagt Karp: „Er ist ein echter Freund, und ich habe nicht viele“. Politisch sei man dennoch gänzlich konträr. Zur exklusiven, jährlich an einem anderen Ort stattfindenden Bilderberg-Konferenz, einem Treffen von rund 140 Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft, kommt er schon ‘mal in Adidas-Trainingshose, Daunenweste und Yoga-Matte. Manchmal unterrichtet er seine Mitarbeiter in Thai Chi. Schon früh war für Alex Karp klar, dass er die „wichtigste Softwarefirma der Welt“ erschaffen will.
Was ihm zweifellos gelungen ist. Nicht gelungen ist dem Kasseler Dokumentarfilmer Klaus Stern („Weltmarktführer“), Alex Karp für ein längeres Gespräch vor die Kamera zu bekommen. Das immerwährende Katz-und-Maus-Spiel zwischen den einstigen guten Bekannten Thomas Giefer und Alex Karp ist der zweite Rote Faden dieser sehr distanzierten Doku, mit der Klaus Stern bewusst keine moralischem Vorgaben macht: der Zuschauer soll selbst entscheiden.
„Watching You“ fördert dennoch erstaunliche Details aus dem Berufs- und dem Privatleben Karps zutage durch Gesprächspartner wie dessen Frankfurter Doktormutter Karola Brede und den damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter am Freud-Institut, Christian Schneider. Vor allem der heute in Andalusien lebende Exil-Russe Alfredas Chmieliauskas liefert als einst führender Mitarbeiter von Palantir bisher unbekannte Details über die Entstehung der Big-Data-Software und ihre Einsatzmöglichkeiten etwa bei der hessischen und nordrhein-westfälischen Polizei. Nach Auffassung des bayerischen Datenschutzbeauftragten Thomas Petri zahlt unsere Demokratie einen „extrem hohen Preis“ mit dem Einsatz des Hessendata-Tools, den das Karlsruher Bundesverfassungsgericht im Februar 2023 immerhin begrenzt hat.
Pitt Herrmann