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Der palästinensische Filmemacher Elia Suleiman hat seine Heimat verlassen und sucht nun nach einem Ort, an dem er sich niederlassen kann. Er reist nach Paris, New York und Doha – doch überall hin verfolgt ihn Palästina, sei es in Form von Grenzkontrollen oder mehr oder weniger unverblümtem Rassismus. Suleimans fortwährende Versuche, seine Herkunft auszulöschen, scheitern ein ums andere Mal. So verwandelt sich die Suche nach einer neuen Heimat zusehends in eine absurde Komödie um Fragen nach Identität, Nationalität und Erscheinungsbildern.
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Zeit also, seinen Koffer zu packen und schnell noch ein kleines Zitronenbäumchen zu pflanzen, bevor Elia dorthin aufbricht, wo vermeintlich die Frauen frei sind und die Kunst tolerant, wo die Parks öffentlich zugänglich sind und niemand Zitronen aus Nachbars Garten stiehlt. Elia sitzt in einem Pariser Straßencafe und geht seiner liebsten Profession nach: der Flaneur mit dem kecken Hut freut sich über den Anblick junger Frauen – eine schöner als die andere. Am anderen Morgen herrscht Totenstille in der sonst rund um die Uhr quirligen Seine-Metropole: kein Mensch auf der Straße, Bars und Geschäfte geschlossen. Panzer rollen an der Banque de France vorbei, Düsenjäger donnern über seinen Kopf. Ist der nächste Weltkrieg ausgebrochen? Nein, auf der Avenue des Champs- Élysées zwischen Place de la Concorde und dem Arc de Triomphe pulsiert das Leben am französischen Nationalfeiertag.
Elia wundert sich erneut: über einen tätowierten Proll, der ihn in der Metro die ganze Zeit anstarrt wie einen Außerirdischen. Über ein durchaus anmutiges Ballett dreier Polizisten auf Segways, die Versorgung eines an einer Straßenecke kampierenden Obdachlosen mit einem Dreigang-Menü durch einen mit Blaulicht vorfahrenden Rettungswagen oder einen skurrilen Kampf um Stühle in einem idyllischen Park. Mehr als nur Kopfschütteln hinterlässt ein Filmproduzent, der sein jüngstes Projekt „It Must Be Heaven“, so lautet „Vom Gießen des Zitronenbaums“ im Original, als nicht palästinensisch genug ablehnt: Es spielt zwar in Palästina, könnte aber auch überall sonst auf der Welt spielen.
Weshalb Elia in die westlichste Metropole der westlichen Welt, nach New York, weiterreist. Wo er sich dem Taxifahrer als christlicher Palästinenser zu erkennen gibt – und für die lange Fahrt vom Flughafen in die City nichts zu bezahlen braucht. Auf den Straßen bis an die Zähne bewaffnete Spaziergänger, die hastig ihre Einkäufe erledigen. Im Central Park übt eine Percussions-Truppe, gibt ein Hundetrainer offenbar ebenso lautstark Kommandos, bewegen sich junge Mütter mit Kinderwagen im Kollektiv wie in der Gymnastikstunde und ein Engel läuft mit einer Palästina-Flagge herum, bis er sich in Luft auflöst. Wunder über Wunder auch hier, wo Elia als Filmemacher und Weltbürger gebeten wird, jungen Filmstudenten aus seinem Leben zu erzählen. Kaum ist er draußen, begegnen ihm gefährlich aussehende Gestalten – es ist Halloween-Nacht. Und am anderen Tag sitzt er auf dem Podium zum zehnten Jahrestag des Palästina-Forums und weiß nichts zu sagen. Bleibt nur noch der Weg zum Wahrsager: der liest aus den Karten, dass Palästina kommt, als selbständiger, anerkannter Staat – aber nicht zu seinen Lebzeiten.
Hätte er sich denken können. So kehrt der Heimatsuchende nach Nazareth zurück, wo er in einer Bar selbstvergessen tanzenden Jugendlichen zusieht, für die es kein Gestern und kein Morgen gibt. Am nächsten Morgen beim Blick in seinen Garten erlebt Elia ein großes Wunder: er freut sich über einen liebevoll gepflegten, sichtlich gedeihenden kleinen Zitronenbaum…
Als scheinbar unbeschwerter Flaneur läuft der 1960 in Nazareth geborene und jetzt in Jerusalem lebende Regisseur Elia Suleiman, der das Kino seit über zwei Jahrzehnten mit magischen, zugleich aber auch verstörenden Filmen bereichert („Chronik eines Verschwindens“, „Göttliche Intervention“), los und erlebt eine Irrfahrt in die absurden Abgründe unserer Zeit. Immer wieder holt ihn die Vergangenheit, die Gegenwart und unsichere Zukunft seines Landes Palästina ein. Diese verblüffend leichtfüßige Komödie trägt im Original den passenderen Titel „Es muss der Himmel sein“, geht es Suleiman doch um einen allegorischen Baum und dessen Verwurzelung in staatenloser Erde. Free-TV-Premiere ist am 18. Mai 2022 auf Arte.
Pitt Herrmann