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Die DEFA-Regisseurin Sibylle Schönemann wird 1984 von der Stasi verhaftet und verurteilt, nachdem sie zuvor einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Ein Jahr später wird sie über die Grenze in die Bundesrepublik abgeschoben. In diesem autobiographischen Dokumentarfilm reist die Filmemacherin nach dem Mauerfall ihrer Vergangenheit hinterher und sucht nach Antworten auf zahllose Fragen. Tragisch und komisch zugleich sind ihre Begegnungen mit den damaligen Gefängniswärtern, Richtern und Stasi-Beamten, die heute jede Schuld von sich weisen wollen.
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Rückblende, 17. Juli 1985. Ein Reisebus mit freigekauften „Politischen“ fährt vom Sammellager Karl-Marx-Stadt unkontrolliert durch den Übergang in die Bundesrepublik. Darin mit Hans-Jürgen Schönemann, geboren am 10. Oktober 1946 in Lübz, und seiner Gattin Sibylle Schönemann, geboren am 5. Oktober 1953 in Berlin, zwei Potsdamer Defa-Regisseure. Sie hatten nach Ablehnung aller vorgeschlagener Filmprojekte keine berufliche Zukunft im Arbeiter- und Bauernstaat gesehen und Ausreiseanträge gestellt, waren daraufhin 1984 plötzlich verhaftet und wegen „Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit“ zu 14 bzw. 12 Monaten Haft verurteilt worden.
Er saß im berüchtigten Zuchthaus Bützow in Mecklenburg ein, sie im vergleichsweise humanen „Bau“ im thüringischen Hohenleuben, dem damals modernsten Gefängnis der DDR. Ihre beiden 6- und 10-jährigen Töchter, Josefine, genannt Fine, und Luise, denen die Dokumentation „Verriegelte Zeit“ gewidmet ist, blieben bei Sibylles Eltern. Der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Heinrich Vogel spricht am Ende des Films von 35.000 Häftlingen, denen er als Unterhändler zwischen beiden deutschen Staaten zur Freiheit verholfen hat – die Schönemanns eingeschlossen.
Fünf Jahre später, direkt nach dem Mauerfall, kehrt Sibylle Schönemann zurück und besucht in umgekehrter Reihenfolge die Orte ihres DDR-Lebens und spricht mit Menschen, die sich ohne Ausnahme als kleine Rädchen im Getriebe des SED-Unrechtsstaates herausreden. Was bei Herrn Kaminski in der Plätterei des Frauengefängnisses noch durchgeht, wirkt bei Frau Hauptmann Kirst, einst Erzieherin in Uniform, bereits hilflos – und beim Potsdamer Haftrichter Weide nur noch peinlich. Dass die Filmemacherin diese „Zeitzeugen“ überhaupt zu Aussagen bewegen konnte, dürfte nur der unsicheren Übergangssituation der Wendezeit geschuldet sein.
Mit ihrer nur „Punkt“ genannten einstigen Zellengenossin Birgit Hartmann sitzt sie in Hohenleuben auf den harten Pritschen, um über den psychischen Terror ihre Vernehmer zu sprechen, Oberstleutnant Lehmann und Hauptmann Hollwitz. Letzterer lässt sich ebenso verleugnen wie die beiden dem Richter Schröter gleichberechtigt beigeordneten Schöffen Alter und Kovarnich. Schröter immerhin gibt zu, dass es keine Rechtsstaatlichkeit in der DDR gab, weshalb er gar nicht anders handeln konnte als beide Schönemanns zu verurteilen.
Peter Gericke, Oberstleutnant beim Ministerium für Staatssicherheit und der Stasi-Verbindungsmann zur Defa, den die Filmemacher als angeblichen Forstfacharbeiter bei der Walderneuerung der Forstverwaltung Rathenow ausfindig machen, schiebt alle Verantwortung von sich und verweist auf das Defa-Studio für Spielfilme in Person der Direktorin für Kader und Bildung, Regine Buresch, und des Generaldirektors Hans Dieter Mäde, Mitglied des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Erstere sagt, sie habe mit dem Vorgang inhaltlich nichts zu tun und die negative Beurteilung nach telefonischer Weisung Mädes nur unterzeichnet, Letzterer lässt vereinbarte Gesprächstermine platzen.
„Verriegelte Zeit“ ist am 24. November 1990 auf der 33. Int. Leipziger Filmwoche für Dokumentar- und Animationsfilme uraufgeführt und mit der Silbernen Taube ausgezeichnet worden. Nach der westdeutsche Erstaufführung am 22. Februar 1991 auf der 41. Berlinale gabs beim Deutschen Filmpreis das Filmband in Silber. Dem Kinostart am 4. April 1991 folgte die Erstausstrahlung am 7. November 1991 in der ARD. Weitere Auszeichnungen gabs im April 1991 beim Festival Films de Femmes Créteil in Frankreich („Bester Dokumentarfilm“) und im gleichen Jahr den Großen Preis beim Int. Dokumentarfilmfestival im japanischen Yamagata.
Im Faltblatt der koproduzierenden, von ehemaligen Defa-Leuten gegründeten Alert Film schreibt Sibylle Schönemann: „Mein Film stellt viele Fragen und enthält wenig Antworten, meine Suche aber, die deprimierend und spannend war, komisch und tragisch, ermüdend und befreiend, ist zu einem Film geraten, der für mich zur Bewältigung einer Episode meines Lebens wurde und für den Zuschauer vielleicht ein nachdenkliches Erlebnis, ein Dokument dieser Zeit und dieses doppelt geteilten Landes, nicht mehr und auch nicht weniger.“
Pitt Herrmann