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In der DDR waren jugendliche Subkulturen und Gruppierungen wie Skinheads, Punks, Grufties oder Neonazis ein Tabu-Thema. In diesem Dokumentarfilm kommen sie zu Wort und sprechen über Probleme und Gewalt in ihrem Leben, über Misstrauen gegenüber dem Staat und die Suche nach eigenen Idealen. Christa Wolf und Stefan Heym äußern sich zu historischen Parallelen zu früheren Generationen und treten mit den Jugendlichen in den Dialog.
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Steiner und seine Kameraleute treffen vor einem halb zerstörten Grabmonument die drei Grufties Holger, Ines und Mark. Die in der Öffentlichkeit als „Sargschläfer“ oder „Grabräuber“ beschimpft werden, in Wirklichkeit aber ganz harmlose Kids sind, die auf dem Friedhof einen Rückzugsort gefunden haben. „Warum finden sie keinen Platz im Diesseits?“ fragt der Regisseur.
Ohne auf eine Antwort zu warten geht’s weiter zum Heimspiel des Stasi-Klubs BFC Dynamo: „Ein Fußballstadion mit antifaschistischem Schutzwall“ ist Steiners Kommentar zur Phalanx an Volkspolizisten, welche die Skinheads unter den BFC-Fans von denen der ungenannten Gäste trennt. Bomberjacke, Stiefel und Kurzhaarschnitt oder Glatze sind die äußerlichen Merkmale einer Gruppe, die nicht länger Opfer, sondern Täter sein will. Und deshalb Ersatz-Opfer wählt wie Fans der Gäste-Elf, anders aussehende Gleichaltrige – oder Juden. Ob die Befragten überhaupt schon einem jüdischen Mitbürger auf den Straßen der Hauptstadt begegnet sind?
Beim Live-Auftritt der Gruppe „Fehlinformation“ in einem abbruchreifen Berliner Altbau kommt Steiner mit einem Punk ins Gespräch, der sich den Künstlernamen „Abfall“ zugelegt und einen Ausreiseantrag gestellt hat. Die andere, sich inzwischen nicht mehr nur im Prenzlberger Untergrund artikulierende Jugendkultur sucht nach Alternativen zum staatlich verordneten Einheitsbrei, will mit äußerem Auftreten oder Parolen aus der Nazi-Zeit in erster Linie provozieren. Und wer wie die befragten Skins bereits Haftstrafen hinter sich hat, hasst den Staat, der sie mit Kriminellen zusammensperrte, mehr als je zuvor.
Die weit verbreitete Ausländerfeindlichkeit entpuppt sich als ein toxisches Gemisch aus Unkenntnis (die in die DDR zumeist als Auszubildende und Fabrikarbeiter gekommenen Bürger sozialistischer Bruderstaaten werden ebenso kaserniert wie die „einfachen“ Sowjetsoldaten) und Neid auf bestimmte Privilegien (Wohnungen, Reisefreiheit). „Da wird eine Grenze überschritten“, lässt sich Steiner aus dem Off vernehmen: „Aber wir müssen bei unserer Frage bleiben: Was ist passiert? Und die Antwort darauf können sie nur selbst geben.“
Womit die jugendlichen Gesprächspartner gemeint sind, an denen die antifaschistische Erziehung offenbar spurlos vorbeigegangen ist, illustriert an der Einblendung eines Plakats an der Karl-Marx-Allee: „35 Jahre Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Damit Frieden bleibt.“ Solche Sprüche prallen an Punks und Skins ab. Wie Frank, genannt „Schmutz“, der in einem Lonsdale-T-Shirt zur Gerichtsverhandlung erscheint.
Die „Rote Front Pankow“ besteht aus Schülern und Lehrlingen, die sich als Antifaschisten verstehen und bewusst Skins in der Öffentlichkeit entgegentreten. Allerdings haben auch sie kritisch zur Kenntnis genommen, dass Glasnost, Perestroika und Gorbatschow zu Unworten in der DDR geworden sind. Sie haben erst aus dem Westfernsehen erfahren, dass die Moskauer Zeitschrift „Sputnik“ von der Postzeitungsliste gestrichen worden ist: „Man darf nix sagen, sagt man ‘was, ab zur Direktion!“
Der Schriftsteller Stefan Heym zieht zwar Parallelen zum Anfang der 1930er Jahre, zeigt aber Verständnis für die oppositionelle Jugend angesichts der weltweiten Krisen: der Staat sei zu dröge und zu selbstsicher, um auf Kritik einzugehen. Seine Kollegin Christa Wolf ist bemüht, im Gespräch mit dem Skin Ingo H. und seinem Freund ihre Vorurteile zu verifizieren. Sie erhält ernüchternde Antworten: Der Zusammenhalt, die Kameradschaft sei der Hauptgrund, sich solchen Gruppen anzuschließen, wobei beide auch den Wunsch nach der Wiedervereinigung Deutschlands äußern. Sie wollen keine Schuldgefühle tradieren für Taten ihrer Vorfahren, sondern wieder nationalen Stolz artikulieren. Und überhaupt: auf Gewalt folge immer Gegengewalt, das sei ein Naturgesetz.
Der Schlusskommentar Steiners hat es auch auf das Plakat des Progress-Filmverleihs gebracht: „Dieser Film ist ein Plädoyer für das Zuhören. Das Verstehen wollen. Das offene Sprechen, bevor es zu spät ist.“ Leider ist die Erich Fried gewidmete Dokumentation „Unsere Kinder“ viel zu spät entstanden, wäre in ihrer Offenheit und Radikalität vorher allerdings gar nicht möglich gewesen. Die im Film dokumentierte Polizeikontrolle bei Dreharbeiten vor dem Roten Rathaus ist Ausdruck einer Totalüberwachung durch staatliche Organe, welche den Grundrechten der DDR-Verfassung widerspricht. Kurz vor dem Fall der Mauer uraufgeführt, ging der Kinostart in den Turbulenzen der unaufhaltsamen Wiedervereinigung völlig unter.
Pitt Herrmann