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Karin Reier war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 36 Jahre alt und arbeitete Tag für Tag als Schweißerin in einem Kreisbetrieb für Landtechnik in Mecklenburg. Durch die zufällige Begegnung mit Volker Koepp bei einer öffentlichen Diskussion wurde sie zur Protagonistin seines Dokumentarfilms. Bei dieser Veranstaltung hatte Karin Reier ganz offen ihre Unzufriedenheit über ihre Vorgesetzten geäußert. Auch im Film erweist sie sich als Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist und sagt, was sie denkt.
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Gemäß ihrer Ausbildung wurde sie zur Herstellung von Ersatzteilen für Kartoffelkrautschläger eingesetzt, die statt des Einsatzes von chemischen Mitteln oder thermischem Abflammen auf mechanische Weise für Krautminderung sorgen. Als plötzlich Schweißer gesucht wurden, machte Karin Reyer den dafür vorgeschriebenen Schweißerschein und ist nun seit fünf Jahren damit beschäftigt, Füße an Paletten zur Lagerung von Saatkartoffeln zu schweißen – 96 pro Tag sind die staatlich festgelegte Norm.
Als „Vertrauensmann“ der Gewerkschaft für 16 Kolleginnen, in der DDR waren alle Berufs- und Funktionsbezeichnungen männlich, hält sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg, wenn es etwa um mangelhafte Vorprodukte geht, die in Schwaan weiterverarbeitet werden, welche die Qualitätskontrolle nicht hätten passieren dürfen. Oder um die Vergütung ausgefallener Arbeitsstunden aufgrund technischer Probleme bei der Produktion.
Karin Reyer bildet auch Minderjährige des Jugendwerkhofs „Neues Leben“ aus, die im ehemaligen Zisterzienserkloster Rühn untergebracht sind und werktäglich auf einem Lastwagen nach Schwaan transportiert werden. Die angehenden Facharbeiter aus der vielerorts berüchtigten Einrichtung zur Umerziehung „schwer erziehbarer“ Kinder und Jugendlicher mit militärischer Disziplin und Struktur nach der Methode des sowjetischen Pädagogen Anton S. Makarenko äußern sich positiv über ihre Ausbilderin und den Betrieb: Sie seien hier als gleichwertige Kollegen anerkannt und hätten keine Diskriminierung wie sonst erlebt.
Nach neunjähriger Wartezeit kann sich Karin Reyer ihren Trabant in Schwerin abholen, muss sich aber mit der braunen Karosseriefarbe zufrieden geben. „Aus dem Bett gefallen?“ ruft sie beim frühmorgendlichen Arbeitsantritt Volker Koepp und seinem Kameramann Christian Lehmann zu. Eine selbstbewusste Arbeiterin, die zuhören kann und wenn nötig mit Vehemenz ihren eigenen Standpunkt vertritt. Eine patente Frau, die sich auch unter der Trabi-Motorhaube auskennt. Und sich nicht erst nach Feierabend eine Zigarette an ihrem Arbeitsplatz in der Werkhalle anzündet. Dass sie auch lächeln kann und dabei Charme entwickelt, fördert immerhin die finale Einstellung zutage.
Volker Koepp ist bei einem „Filmfrühling“ in Mecklenburg auf Karin Reyer aufmerksam geworden, die sich bei einer Diskussion kritisch über das Unterhaltungsangebot des DDR-Fernsehens geäußert hat. Ihre damaligen Aussagen hat Koepp als Prolog seiner im Frühjahr 1979 gedrehten Kurz-Dokumentation vorangestellt, heute würde man von einer Reenactment-Szene sprechen: „Film von der Arbeit, wieder ‘nen Dokumentarfilm von der Arbeit. Ich bin der Meinung, und ich nicht so alleine, wenn wir uns in der Gewerkschaftsgruppe unterhalten, das Programm, sei es das 1. und das 2. Programm von uns, sind mit Filmen, die eine Handlung von der Arbeit haben, überschüttet, überfüllt. Das am Sonnabend denn ‘mal eine bunte Sendung kommt, oder im 2. Programm ‘Du und dein Garten‘, das ist das was das Überwiegende ist in der Unterhaltung, und dann setz‘ ich mich hin und mach‘ den Fernseher aus, das ist noch der einzigste gute Knopf am Fernsehapparat dann.“
Zum Ende hin kommt der Ortskern von Schwaan kurz ins Bild sowie Bauarbeiten am Landtechnik-Betrieb und vom Frühlingshochwasser des Flusses Warnow überflutete Wiesen aus der Vogelperspektive.
Pitt Herrmann