Experimenteller Kurzfilm von Wim Wenders, der aus einer Reihe statischer Einstellungen von Straßenkreuzungen besteht, aufgenommen zu unterschiedlichen Tageszeiten.
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Der knapp 32-minütige Experimentalstreifen des Münchner Filmstudenten Wim Wenders, entstanden im Sommer 1968 in seinem zweiten Studienjahr an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), besteht aus einem Dokfilm-Prolog, zwei Fotos und zehn kurzen, mit jeweils nur einer statischen Kameraeinstellung gedrehten Shots von maximal vier Minuten Länge – mehr war bei seiner eigenen Paillard-Bolex-Kamera für Tageslichtspulen nicht drin. Auch nach der Arri-Digitalisierung 2015 im Auftrag der Wim Wenders Stiftung mutet der auf Eastmancolor gedrehte 16mm-Kurz-Spielfilm eher wie eine mit Grauschleier überzogene Collage mit surrealen Elementen an.
Beginnend mit historischen Aufnahmen einer Arbeiterdemonstration in den 20er oder 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts steht die Kamera Wenders‘ an einer Straßenkreuzung: In Aufsichts-Perspektive wird der noch wenige Verkehr kommentar- und geräuschlos abgelichtet, als handele es sich um eine Verkehrsüberwachung. Im Halbdunkel leuchten die Scheinwerfer der Fahrzeuge und die Lichter der Ampeln. Später kommen andere High-Angle-Shots zu unterschiedlichen Tageszeiten auf mehr oder minder belebte und einmal auch regennass-glänzende Straßenzüge mit Passanten, Autos und Straßenbahnen hinzu, der Blick fällt am Tag aus zwei unterschiedlichen Perspektiven auf eine Baustelle und am Ende nachts auf eine vierspurige Straße mit Tram-Schienen in der Mitte: die grellen Lichter der dem Betrachter quer durch das Bild entgegenkommenden Autos bilden einen surrealen Kontrast zu den weitaus schwächeren roten Rückleuchten der entgegenkommenden Fahrzeuge und der völligen Dunkelheit ringsum.
Eine artifizielle Normalsicht-Einstellung fällt aus dem Rahmen, gerade weil der Blick auf eine Straßeneinmündung gerahmt wird durch eine Person, die sich linkerhand eine Zigarette anzündet, und eine Telefonzelle gegenüber, aus der ein Passant quer durch das Bild läuft. Für Belebung sorgen neben den wenigen Autos, sämtlich VW-Käfer-Modelle, über das Kopfsteinpflaster wackelnde Tauben. Das einzige wirkliche erzählende Spielfilm-Element dieser nur auf den ersten Blick zusammenhanglosen City-Lights-Collage hat nichts mit dem Straßenverkehr zu tun: Auf einem scheinbar verwaisten Vorort-Bahnhof kreuzt ein verwegener junger Mann die Schienen unmittelbar bevor ein Personenzug durchbraust.
Dem Ansichtskarten-Bild eines Airports mit am Boden gewarteter Swissair-Maschine, über der gerade ein zweimotoriges Propellerflugzeug zur Landung ansetzt, folgt die Aufnahme eines für die Nachkriegszeit typischen Fernsehschranks. Der kleine Bildschirm lässt die Rolling Stones während eines Konzertes erahnen. So stumm wie die nur laute Rockmusik suggerierenden Film-im-Film-Bilder ist die historische Aufnahme eines noblen, aber menschenleeren (Hotel-) Foyers aus Wilhelminischer Zeit mit Stuckdecke, Palmen und Polstersesseln: Von der aufsässig-aggressiven Attitüde des Rock‘n‘-Roll zur kontemplativen Gemütlichkeit plüschig-biedermeierlicher Bürgerlichkeit.
Die teilweise mit Mood-Musik alter Schellack-Platten, die Wenders auf dem HFF-Dachboden fand, unterlegte und am 7. März 1969 auf der Hamburger Filmschau uraufgeführte experimentelle Semi-Doku „Silver City Revisted“ ist „Edda“ gewidmet, der Schauspielerin Edda Köchl, die kurz zuvor seine erste Gattin geworden war. Wim Wenders: „Ich war höchst beeindruckt von den Blicken aus meinen diversen Wohnungen, in denen ich zu der Zeit als Student in München gelebt habe. Und ich hatte eine Postkartensammlung. Und auf dem Dachboden der Filmhochschule habe ich eine Sammlung alter 78er Schellack-Platten gefunden, alle durchnummeriert und mit dem selben Titel: ‚Mood Music‘. Eine Mischung fand nicht statt. An dem 16mm-Projektor in der Filmhochschule habe ich die Musik direkt auf die Tonspur aufgespielt, Pi mal Daumen.“
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Beginnend mit historischen Aufnahmen einer Arbeiterdemonstration in den 20er oder 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts steht die Kamera Wenders‘ an einer Straßenkreuzung: In Aufsichts-Perspektive wird der noch wenige Verkehr kommentar- und geräuschlos abgelichtet, als handele es sich um eine Verkehrsüberwachung. Im Halbdunkel leuchten die Scheinwerfer der Fahrzeuge und die Lichter der Ampeln. Später kommen andere High-Angle-Shots zu unterschiedlichen Tageszeiten auf mehr oder minder belebte und einmal auch regennass-glänzende Straßenzüge mit Passanten, Autos und Straßenbahnen hinzu, der Blick fällt am Tag aus zwei unterschiedlichen Perspektiven auf eine Baustelle und am Ende nachts auf eine vierspurige Straße mit Tram-Schienen in der Mitte: die grellen Lichter der dem Betrachter quer durch das Bild entgegenkommenden Autos bilden einen surrealen Kontrast zu den weitaus schwächeren roten Rückleuchten der entgegenkommenden Fahrzeuge und der völligen Dunkelheit ringsum.
Eine artifizielle Normalsicht-Einstellung fällt aus dem Rahmen, gerade weil der Blick auf eine Straßeneinmündung gerahmt wird durch eine Person, die sich linkerhand eine Zigarette anzündet, und eine Telefonzelle gegenüber, aus der ein Passant quer durch das Bild läuft. Für Belebung sorgen neben den wenigen Autos, sämtlich VW-Käfer-Modelle, über das Kopfsteinpflaster wackelnde Tauben. Das einzige wirkliche erzählende Spielfilm-Element dieser nur auf den ersten Blick zusammenhanglosen City-Lights-Collage hat nichts mit dem Straßenverkehr zu tun: Auf einem scheinbar verwaisten Vorort-Bahnhof kreuzt ein verwegener junger Mann die Schienen unmittelbar bevor ein Personenzug durchbraust.
Dem Ansichtskarten-Bild eines Airports mit am Boden gewarteter Swissair-Maschine, über der gerade ein zweimotoriges Propellerflugzeug zur Landung ansetzt, folgt die Aufnahme eines für die Nachkriegszeit typischen Fernsehschranks. Der kleine Bildschirm lässt die Rolling Stones während eines Konzertes erahnen. So stumm wie die nur laute Rockmusik suggerierenden Film-im-Film-Bilder ist die historische Aufnahme eines noblen, aber menschenleeren (Hotel-) Foyers aus Wilhelminischer Zeit mit Stuckdecke, Palmen und Polstersesseln: Von der aufsässig-aggressiven Attitüde des Rock‘n‘-Roll zur kontemplativen Gemütlichkeit plüschig-biedermeierlicher Bürgerlichkeit.
Die teilweise mit Mood-Musik alter Schellack-Platten, die Wenders auf dem HFF-Dachboden fand, unterlegte und am 7. März 1969 auf der Hamburger Filmschau uraufgeführte experimentelle Semi-Doku „Silver City Revisted“ ist „Edda“ gewidmet, der Schauspielerin Edda Köchl, die kurz zuvor seine erste Gattin geworden war. Wim Wenders: „Ich war höchst beeindruckt von den Blicken aus meinen diversen Wohnungen, in denen ich zu der Zeit als Student in München gelebt habe. Und ich hatte eine Postkartensammlung. Und auf dem Dachboden der Filmhochschule habe ich eine Sammlung alter 78er Schellack-Platten gefunden, alle durchnummeriert und mit dem selben Titel: ‚Mood Music‘. Eine Mischung fand nicht statt. An dem 16mm-Projektor in der Filmhochschule habe ich die Musik direkt auf die Tonspur aufgespielt, Pi mal Daumen.“
Pitt Herrmann