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Die 17-jährige Ramona kommt aus einem Heim in Berlin in ein kleines Dorf und stellt sich als Tochter des Bäckers vor. Beide wussten nichts voneinander. Lakonische Bilder der Tristesse ostdeutscher Provinz zeigen die Überforderung des längst verheirateten Bäckers und gegenseitige Sprachlosigkeit von Tochter und Vater.
Quelle: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
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Ramona, die bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist und nach deren Tod in einem Heim in der Hauptstadt der DDR gelebt hat, bringt Briefe und Fotos mit, die ihre Behauptung verifizieren sollen. Werner bleibt skeptisch, erinnert sich freilich an eine attraktive Erntehelferin in dem infrage kommenden Jahr, will aber sicher gehen und in der Kreisstadt Neuruppin einen Vaterschaftstest machen lassen. Überhaupt: ist das Mädchen nicht ausgerissen, muss er nicht die Heimleitung informieren?
Der nächste Telefonapparat steht beim Abschnittsbevollmächtigten (Berndt Renne), der sich erst einmal in seiner Ruhe am Familien-Esstisch auf der Terrasse gestört fühlt. Der „Jenny Marx“-Heimleiter bestätigt Ramonas Angaben, bekundet aber Zweifel an Werners Vaterschaft, die sei nicht erwiesen. Der Bäcker nimmt das Mädchen dennoch mit nach Hause, es gibt Kaffee und Kuchen in der Hollywoodschaukel im Garten und ein Bett. Vater und Tochter sehen sich nicht wirklich ähnlich, aber der Neuzugang hat im Dorf längst die Runde gemacht und plötzlich können sich auch andere Männer in Werners Alter an die schöne Erntehelferin erinnern.
Abends gibt’s nicht nur eine Landfilm-Vorstellung, der Vorführer (Michael Gwisdek) hatte Ramona das letzte Stück ins Dorf in seinem Wagen mitgenommen, sondern auch Tanz der Jugend – und Werner, als Altrocker mit Lederjacke ausstaffiert von Gattin und potentieller Tochter, bringt sie dorthin. Der wortkarge Mann, der selten die Initiative ergreift, fühlt sich noch einmal jung in Gegenwart des Mädchens, ob das nun eigen Fleisch und Blut ist oder nicht. Dabei hat er wahrscheinlich ein Verhältnis mit der bei ihm daheim ein- und ausgehenden Hilde. Jedenfalls kehrt er erst auf den Tanzboden zurück, als die Fete längst beendet und Ramona mit Freunden weggefahren ist.
Ramona ist schwanger. Sie will nach dem Abitur zunächst einen technischen Beruf ergreifen, um später nach Möglichkeit zu studieren, weshalb sie ihr Kind abtreiben will. Das steckt sie Werner, nachdem sie ihn auf dem Heimweg doch noch aufgelesen hat mit dem Auto eines jungen Dorfbewohners...
Sibylle Schönemanns einziger Spielfilm, „Ramona“, ist ein traditionell für die TV-Ausstrahlung produzierter und daher nur fünfzigminütiger HFF-Diplomfilm, der am 26. Oktober 1980 nur einmal im DDR-Fernsehen ausgestrahlt und danach hauptsächlich wegen der unkonventionell angelegten Rolle des Abschnittsbevollmächtigten kritisiert wurde: „So war unsere Polizei nicht.“ Zu locker habe Berndt Renne den Dorfsheriff gegeben, und dazu auch noch stets ohne Uniformmütze. So offiziös-kleinbürgerlich gab sich anno 1980 das sozialistisch-fortschrittliche Deutschland. Das dann auch bald keine Heimat mehr sein sollte für die Regisseurin, die großen Wert auf Improvisation und die Einbindung von Laiendarstellern legte. So sei ihre Protagonistin Ramona Hallmann mehr an der Dorffete unter Gleichaltrigen interessiert gewesen als an der Auseinandersetzung mit ihrem potentiellen Film-Vater Jürgen Gosch, weshalb viel Filmmaterial in die Tonne geworfen werden musste.
Sibylle Schönemann, 1953 in Ost-Berlin geborene Darstellerin, Regie-Assistentin, Drehbuchautorin und Regisseurin, hat sich zusammen mit ihrem Mann Hannes auf die Suche nach einer neuen Filmsprache begeben. „In Verbeugung vor dem in der DDR gänzlich unbekannten John Cassavetes“, schreibt der Filmhistoriker, Kritiker und „Brotfabrik“-Programmmacher Claus Löser am 31. August 2019 in der „Berliner Zeitung“, „entspinnt sich fast nebenbei eine vielschichtige Mecklenburger Familiengeschichte, bei der das Spiel von Profis mit Laien, dokumentarische Passagen sowie teilweise improvisierte Dialoge eine verblüffende Symbiose eingehen.“
Weil das Ehepaar Schönemann in der DDR keine Arbeitsmöglichkeit mehr sah, stellte es Ausreiseanträge und wurde bis zum Freikauf 1985 durch die Bundesrepublik monatelang ins Gefängnis gesteckt. Die beiden gemeinsamen Kinder sahen sie erst im Westen wieder, wo Sibylle Schönemann 1987 als Dramaturgin bei Hark Bohm („Yasemin“) und 1988 als Ko-Drehbuchautor des Regisseurs Tevfik Baser für die Literaturadaption „Abschied vom falschen Paradies“ des Romans „Frauen, die sterben, bevor sie gelebt hätten“ von Dr. Saliha Scheinhardt begann. Sibylle Schönemann, die im Wendejahr 1990 mit dem zur eigenständigen GmbH mutierten Defa-Studio für Dokumentarfilme die sehr persönliche Spurensuche „Verriegelte Zeit“ realisieren konnte, kehrte Mitte der 1990er Jahre mit der deutsch-tschechischen Produktion „Diese Tage in Terezin“ als Drehbuchautorin und Regisseurin zum Dokumentarfilm zurück.
Pitt Herrmann