Nora S.

DDR 1979/1980 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Die Sekretärin (Christl Jährig) gibt der jungen Frau, die nervös mit einem Papierstapel hantierend auf ihrem Stuhl sitzt, zu verstehen, dass ihr Erscheinen kein Grund für den Produktionsleiter (Hans-Joachim Entrich) ist, die gerade laufende wichtige Sitzung zu unterbrechen. An der auch ihr Vorgesetzter – und, wie sich später herausstellt, auch Verlobter – Jürgen Färber (Jaecki Schwarz) teilnimmt. Dabei wird gerade über ihre Zukunft in dem Berliner Betrieb, der u.a. Pumpen für ganz unterschiedliche Zwecke konstruiert, beraten.

Nora Schwarz (Swetlana Schönfeld) steht mit beiden Beinen im Leben. Die erst kürzlich wieder in Leipzig mit „Messegold“ ausgezeichnete Diplom-Ingenieurin hat wie andere emanzipierte, materiell auf eigenen Beinen stehende junge Frauen in der DDR hohe Ansprüche an das Leben. Zum einen privat. Sie lebt mit ihrem Kollegen und jetzigen Chef Jürgen zusammen, den sie sicherlich einmal heiraten wird, obwohl das für beide ehrgeizigen Workaholics auf absehbare Zeit kein Thema ist. Zum anderen beruflich. Es fordert sie heraus, wenn Dinge, an denen sie maßgeblich mitgearbeitet hat, nicht so funktionieren wie sie sollen. Sie nimmt Probleme geradezu persönlich. Was ihr nun zum Vorwurf gemacht wird: unerlaubtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz, Gleichgültigkeit gegenüber ihren staatsbürgerlichen Pflichten.

Nora spricht sich mit ihrer Freundin Rosi (Ute Boeden), die im gleichen Betrieb tätig ist, aus. Diese rät ihr, alle Mittel von einer Eingabe bei der Gewerkschaft über die Anrufung der Konfliktkommission bis hin zum juristischen Verfahren am Kreisgericht auszunutzen, um ihre drohende Entlassung abzuwenden. Doch Nora weiß: „Die stecken doch alle unter einer Decke“. Was wirft man ihr vor? Nora hat gegen Vorschriften und Weisungen verstoßen und damit, so Jürgen Färber, das Vertrauen sowohl ihrer Vorgesetzten als auch ihrer Kollegen, die sich schließlich auf sie verlassen müssen, missbraucht. Der Erfolg, den Nora zweifelsohne vorweisen kann, heilige ihre Mittel nicht.

Auf einer entlegenen Bohrstelle tief im Thüringer Wald versagte die von Nora konstruierte Pumpe in regelmäßigen Abständen durch hohen Verschleiß spezieller Bauteile. Die Ingenieurin ist entgegen der Regel bereit, sich die Probleme vor Ort anzusehen. Nora hat immer praxisbezogen arbeiten wollen, eine Hochschulkarriere stets ausgeschlossen. Fünf Tage werden ihr vom Produktionsleiter bewilligt. Es ist eine gottverlassene Gegend, die im herbstlichen Schlamm zu versinken droht: Der Jeep des Stützpunktleiters Hans Likendeel (Jürgen Zartmann) bleibt unterwegs stecken, als der promovierte Geologe die Berliner Ingenieurin von der Bahn abholt.

Wo die attraktive Nora mit großer Skepsis von den Männern empfangen wird, die erstmals ihre karge Baracke mit einer Frau teilen müssen: Koch (Fred Delmare), Pfeifer (Wolfgang Winkler) und Georgie (Peter Zintner) rücken ein paar Schränke zurecht, damit Nora einen von neugierigen Blicken ungestörten eigenen Bereich hat. Sie nimmt am Leben ihrer Arbeitskollegen auf Zeit jedoch so selbstverständlich und unkompliziert teil, dass sie sich bei ihren und insbesondere bei Hans Likendeel rasch Respekt verschafft. Zumal sie erklärt, die Männer nicht im Stich lassen zu wollen: Sie will so lange an der Sache dranbleiben, bis das Problem gelöst ist.

Resignation steht für sie nicht zur Debatte, als Untersuchungen der von ihr nach Berlin mitgebrachten Verschleißteile Kolben und Manschetten ergeben, dass weder ein Konstruktions- noch ein Produktionsfehler vorliegt. „Die Geologen sind nicht unsere einzigen Kunden“: Während für die Firmenleitung und insbesondere für Jürgen die Angelegenheit erledigt ist, erbettelt sich Nora drei weitere Tage in Thüringen, um den offenbar externen Ursachen auf die Spur zu kommen. Die drei Tage reichen nicht, ein erster offizieller Verweis und die Androhung eines Disziplinarverfahrens bringen sie aber nicht zurück in die Hauptstadt. Was auch ein wenig am Stützpunktleiter liegt, dem sie in bald winterlicher Schnee-Einsamkeit näher kommt als gewollt.

Nach endlich erfolgreicher Fehlersuche macht Nora auf dem Rückweg nach Berlin bei ihren Eltern (Wolfgang Greese und Ostara Körner) Station und schildert ihnen ihre schwierige berufliche Situation. Sie schläft wieder in ihrem Kinderzimmer, nimmt für wenige Tage am ruhigen, nun von der Vogelzucht beherrschten Leben ihres Vaters, eines ehemaligen Bergmannes, teil und lernt bei ihrer Schulfreundin Susanne (Petra Kelling) ein zu ihr völlig konträres Lebensmodell kennen: die Mutter zweier Kinder verschiedener Männer hat als Kindergärtnerin ihre Berufung gefunden. Währenddessen ist Hans Likendeel ohne Noras Wissen aktiv geworden, um die Ingenieurin zu den Geologen abzuwerben.

Vor diesem Nora unbekannten Hintergrund beginnt in Berlin die Sitzung der Konfliktkommission, bei der überraschend mit Koch, Pfeifer und Georgie drei Thüringer Kollegen auftauchen. Besonders Koch legt sich für Nora ins Zeug, was dem Vorsitzenden der Kommission (Dietmar Richter-Reinick) und der Vorsitzenden der nur AGL genannten Abteilungsgewerkschaftsleitung in Großbetrieben (Evamaria Bath) wie ein abgekartetes Spiel vorkommen muss. Das Ministerium für Geologie hat eine offizielle Anfrage nach Nora eingereicht. Dabei hat sie sich doch gar nicht beworben, fühlt sich nach Jürgen, dem sie nach langem Zögern doch wortlos ihre Wohnungsschlüssel übergeben hat, vom nächsten Mann fremdbestimmt. Hans Likendeel kommt kaum als neuer Partner in Frage. Nach 81 Minuten bleibt das Ende offen, aber die Bildsprache ist eindeutig: Nora fühlt sich im Kreis „ihrer“ Bohrbrigade am wohlsten...

„Nora S.“, entstanden nach der Erzählung „Akte Nora S.“ von Erik Neutsch (PL Horst Bauer), reiht sich ein in die bemerkenswerte Phalanx der DDR-Filme über Probleme der Arbeitswelt unter sozialistischen Bedingungen. Die bekannte Berliner Bühnenschauspielerin Swetlana Schönfeld gibt eine zwar liebesbedürftige, aber auch selbstbewusste junge Akademikerin, die über ihren weiteren beruflichen und privaten Weg selbst (mit-) entscheiden will. Und es deshalb schwer hat im nach wie vor von Männern dominierten Arbeiter- und Bauernstaat.

Pitt Herrmann