Inhalt
Langzeitdokumentation über ein lesbisches Paar, dessen Kinder und deren Erzeuger – wobei die Perspektive sich durch eine unerwartete Wendung sogar noch ausweitet. Es beginnt im Jahr 2009, als Pedi und Anny, ein glückliches Paar mit Kinderwunsch, über eine Annonce einen Erzeuger finden: Eike. Durch seine Mitwirkung bekommen sie insgesamt drei Söhne. Erst als sich Jahre später ein Mädchen namens Linn bei ihnen meldet, weil sie gerne ihre Brüder kennenlernen möchte, erfahren Pedi und Anny, dass Eike auch anderen Frauen "geholfen" hat. Damit beginnt eine nochmals neue, ungewöhnliche Familiengeschichte. Im Rahmen dieser sehr individuellen Erfahrungswelt bildet der Film auch eine Chronik sich wandelnder Rollen- und Familienbilder, erzählt von gesellschaftlichen Ressentiments und ist zugleich ein Plädoyer für Toleranz und Diversität.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
„Wenn ich jetzt nochmal planen würde, ich würde es genauso machen“: Anny, deren Vater früh gestorben ist, weshalb ihr jüngerer Bruder Carsten in dessen Rolle schlüpfte, hatte ebenso mit familiären Vorurteilen zu kämpfen wie Pedi, als beide 2009 eine Zeitungsannonce aufgaben, in der sie einen Samenspender suchen. Viele Männer haben geantwortet – und Eike ist es geworden. Intelligenz? Sympathische Ausstrahlung? Der ledige Heilpraktiker und Osteopath „hat einfach gepasst“ bekundet Anny.
Ihre drei Jungs Pino, Lou und Linus wissen, wer ihr Vater ist. Auch dass sie mit Linn eine Halbschwester haben, die Tochter von Sandra und Simone: Eike hat am Ende acht Kinder mit fünf Frauenpaaren gezeugt, nachdem ihm der Traum von der „eigenen“ Familie verwehrt blieb. Pedis Eltern und besonders Carsten, dessen Frau Tina sowohl eine künstliche Befruchtung als auch eine Adoption ablehnt, sind in erster Linie die männlichen Bezugspersonen der drei Brüder, während Linn stärker auf Eike fixiert ist. Sie war es, die als Achtjährige mit einem mutigen Brief den Kontakt zu ihren Halbbrüdern herstellte.
„Mit Romantik hat das wirklich nichts zu tun“ schildert Pedi den technischen Vorgang der Zeugung, die sich für Eike so selbstverständlich „wie eine Blutspende“ darstellt. Pedi singt im Kirchenchor des sich als schwul geouteten evangelischen Pfarrers Nulf Schade-James, der sich traute, das lesbische Paar zu trauen in einer Zeit, in der das Familienbild aus Mutter, Vater und Kind bestanden hat und die Gesellschaft mit großer Ablehnung auf alles andere reagierte.
Den 80. Geburtstag von Eikes Mutter Elke feiert die Großfamilie gemeinsam. Nur ihr zweiter Sohn Christian, der in Süddeutschland mit einer Spanierin zusammenlebt, bleibt auf Distanz zu diesen „Regenbogen-Verhältnissen“. Am Ende, Annette Ernst hat die Familie von 2009 bis 2021 begleitet und dabei 80 Stunden Material gedreht, sorgt sich der elfjährige Pino um unseren Planeten Erde, während der 14-jährige Fußballer Lou von einer Profikarriere bei der Frankfurter Eintracht träumt. Die beiden Ältesten, die 15-jährige Linn und der 16-jährige Linus, sind dagegen ganz mit ihrem beruflichen Fortkommen beschäftigt. Und alle sind wie ihre Mütter nach wie vor vom „Erzeuger“ Eike begeistert, auch wenn sie ihn nur selten sehen.
Mit ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Mutter Mutter Kind“ ist der Frankfurter Spielfilm- und Serienregisseurin Annette Ernst (Grimme-Preis für „Kiss and Run“) ein empathisches, immer wieder von ihr selbst kommentiertes Porträt zweier nicht nur beruflich sehr geerdeter Frauen gelungen, die an die Kraft und den Zusammenhalt ihrer Familie glauben. Hineingeschnittenes Archivmaterial stellt den zeitgeschichtlichen Kontext zur gesellschaftlichen Beschäftigung mit den Themen gleichgeschlechtliche Liebe, Ehe und Elternschaft her.
Zwischendurch sprechen zwei Schauspieler, Barbara Stollhaus als Mutter und Marc Oliver Schulze als Therapeut, in einem abstrakten Theaterraum über persönliche und gesellschaftliche Ängste und Vorurteile gegenüber Regenbogen-Familien – bewusst in stilisiertem Schwarz-Weiß gedreht und so optisch von der Dokumentation abgesetzt.
Annette Ernst im jip-Presseheft: „Dieser Film möchte ein Votum dafür sein, der Mensch, die Persönlichkeit sein zu dürfen, die man ist, solange man andere damit nicht verletzt. Dazu gehört auch der Mut, über frischen Schnee zu gehen und neue Spuren zu hinterlassen. Mein Anliegen mit diesem Film ist ein Plädoyer für Diversität, Vielfalt und Toleranz. Denn obwohl wir in Deutschland in einer Welt voller Gendersternchen leben, werden heute transsexuelle Menschen auch noch auf offener Straße verprügelt.“
Pitt Herrmann