Inhalt
Kalle, Arbeiter in einer Dresdner Zigarettenfabrik, selbst jedoch Nichtraucher, will nach Kriegsende mit dafür sorgen, dass wieder produziert werden kann. Dafür wird Karbid gebraucht. Er erfährt von Karbidfässern in Wittenberg, die er auf abenteuerliche Weise – per Anhalter – nach Dresden zu bringen trachtet. Sein Zahlungsmittel sind Zigaretten, seine Wegzehrung Sauerampfer. Er trifft u.a. auf die hilfsbereite Karla, bei der er am liebsten für immer bliebe, kann ein Stück des Weges auf einem LKW zurücklegen, wird der Plünderei verdächtigt und gerät in die Fänge eines geschäftstüchtigen US-Soldaten. Schließlich kommt er mit zwei von sieben Fässern am Ziel an.
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Karl Blücher, genannt Kalle, macht sich auf in den aus sächsischer Sicht hohen Norden. Weil er für diesen durchaus heiklen Auftrag prädestiniert erscheint. Zum hat er selbst einmal in der Brandenburgischen Karbidfabrik gearbeitet, wo jetzt auch sein Schwager tätig ist. Und zum anderen, weil Kalle als überzeugter Vegetarier unterwegs keine Ernährungssorgen haben dürfte. Und als passionierter Nichtraucher hofft, mit einer Schachtel Dresdner Friedensware zwecks Bestechung im Bedarfsfall auszukommen.
Für den Hinweg hat er aus seiner Tabatiere offenbar nicht viele Glimmstengel hergeben müssen. Die ist noch gut gefüllt, als er den Rückweg antritt. Was mit sieben Fässern Karbid und nach wie vor ohne Fahrzeug nicht wörtlich zu nehmen ist. Doch das Abenteuer lässt sich gut an. Karla, ein sympathisches Mädchen, nimmt ihn und seine Fracht das erste Stück im Pferdefuhrwerk mit. Als es dunkel wird, landen beide auf dem Hof, den Karla mit Mutter und Großvater, zugleich Bürgermeister des kleinen Ortes, bewohnt.
Karla schrubbt Kalle erst 'mal gründlich den Straßenstaub der letzten Wochen vom Körper und wärmt ihn dann mit dem eigenen im Bett. Dresden – das wäre schon 'mal der erste Schritt für das dralle Landmädchen, das unbedingt in die Großstadt und zum Film will. Am liebsten würde er bei ihr bleiben, nachdem sie am eigenen Leib gespürt hat, dass man auch mit Brunnenkresse statt Schnitzel seinen Mann stehen kann. Aber die Pflicht ruft. Kalle verspricht, zurückzukommen – und sei es auf einem Fahrrad, dessen Hinterreifen soeben unliebsame Bekanntschaft mit einem Nagel gemacht hat.
Nach so einem vielversprechenden Auftakt wachsen die Bäume naturgemäß nicht gleich in den Himmel. Zwar erlöst ihn ein LKW-Fahrer gleich von seinem ganzen Zigarettenvorrat, nimmt ihn dafür aber nur eine kleine Wegstrecke mit. Nicht ohne ihn mit dieser Warnung zurückzulassen: „Wenn die Russen dich damit schnappen, gehste in den Bau.“ Weshalb Kalle sich selbst und die Fässer in einem Waldstück versteckt, wo er essbare Pilze vorfindet. Aber nicht ahnt, dass er sich auf vermintem Gelände befindet.
Eine andere LKW-Besatzung ist bereit, ihn bis zur Elbe mitzunehmen – im Gegensatz für sein Pilzragout, das grade über offenem Feuer köchelt. Eine gesprengte Brücke ist Endstation. Und dann entdecken auch noch russische Soldaten die Fässer – und beschlagnahmen Kalle gleich mit. Der weiß zu handeln und tauscht drei Fässer Karbid gegen einen Propusk genannten Passierschein der Sowjetarmee und eine diesmal längere, letztlich aber auch nur dreißig Kilometer gehende LKW-Fahrt. Auf der unterwegs ein zwielichtiger und jedenfalls sehr selbstsüchtiger Opernsänger und die 17-jährige Kriegswaise Karin zusteigen, die beide über die Elbe in die amerikanische Besatzungszone 'rübermachen wollen.
An einer schmalen, seichten Stelle gelingt es dem Barden, während Kalle das ängstliche Mädchen wieder aus der Elbe fischen und wie einen nassen Pudel trockenlegen muss. Weil das Boot, in dem sie die letzte Nacht verbracht haben, ein größeres Leck offenbart als geahnt, gehen weitere Fässer perdu – aber das Madel erreicht wenigstens das westliche Ufer. Mit dem kümmerlichen Rest der Ladung strandet Kalle auf dem Podest eines zerstörten Brückenpfeilers - und funkt mit vernehmlicher Stimme S.O.S.
Ein schmucker amerikanischer Soldat in einer eleganten Motoryacht, die materiellen Verlockungen des kapitalistischen Klassenfeindes waren offenbar schon in der Stunde Null enorm, will Kalle samt Karbid ans rettende, d.h. Geschäfte versprechende Ufer transportieren. Der Schiffbrüchige lässt sich zum Schein auch darauf ein, um den so naiven wie gelackten Operetten-Offizier zu überlisten und dessen Boot zu kapern. Samt Dienstwaffe und Uniformmütze. Letztere rettet ihn auf dem Elb-Weg gen Dresden vor Zumutungen beider nun nicht mehr ganz so brüderlichen Kampfgefährten – bis zum letzten Tropfen Sprit.
So landet er im Sägewerk der einsamen Witwe Clara Himmel, die den Maschinenschlosser gut gebrauchen kann – um ihr Unternehmen wieder flott zu kriegen und ihr lange brach liegendes Liebesleben. Sie lässt nichts unversucht, um Kalle an sich zu binden, versetzt sogar eine goldene Brosche für eine deftige Schlachterplatte zum Frühstück. Doch das letzte Pfefferminzlikörchen muss wohl schlecht gewesen sein, denn erst fünf Minuten nach zwölf begreift Kalle, dass sich zwei Ganoven mit seinen Fässern aus dem Staub machen.
Ein Sarg-Kutscher hilft ihm das nächste Stück weiter, im Gegenzug muss Kalle eine Grabrede halten. Und wird, als er sich auf dem Schwarzmarkt nach einer Fahrgelegenheit für die restliche Strecke erkundigt, von der deutschen (Hilfs-) Polizei verhaftet. Als die anderntags seinen Propusk entdeckt, schlottern dem Kommissar dermaßen die Knie vor möglichen russischen Reaktionen, dass er Kalle samt Ladung von letztlich nur noch zwei Fässern Karbid im LKW bis zur Dresdener Zigarettenfabrik bringen lässt. Wo dieser von seinen Kollegen wie ein Held begrüßt wird. Was aber auch daran liegt, dass Post von Karla eingetroffen ist. Der er ein quicklebendiges „Andenken“ hinterlassen hat, weshalb sich Kalle sogleich wieder aufschwingt – aufs besagte Fahrrad...
„Karbid und Sauerampfer“ zählt zu den schönsten und erfolgreichsten Defa-Komödien. Frank Beyer hat sie Erwin Geschonneck auf den Leib geschneidert. Sein Kalle entpuppt sich als findiger Organisator auf dieser Odyssee durchs gespaltene, in Besatzungszonen aufgeteilte Nachkriegsdeutschland. Er macht so ziemlich alles durch, was sich damals am unmittelbaren Neubeginn, den Günter Marczinkowsky mit seiner Kamera knapp zwanzig Jahre später möglichst authentisch einfing, erleben ließ. Sein Kalle ist schelmisch und spöttisch, naiv und draufgängerisch, scheu und gerissen. Für Erwin Geschonneck war „Karbid und Sauerampfer“ einer der größten Erfolge beim Publikum.
Pitt Herrmann