Inhalt
1961 im Ruhrgebiet: Das Wirtschaftswunder lässt Deutschland aufblühen, die Arbeiter aber, die die Basis dafür schaffen, leben in engen und ärmlichen Verhältnissen – wie die Familie von Julian, 12 Jahre alt, der in einer Bergarbeiter-Siedlung aufwächst. Während die Nachbarskinder sich in diesem Sommer die Zeit mit Trinken, Rauchen und Tierquälerei vertreiben, übernimmt Julian zum ersten Mal Verantwortung: Seine Mutter ist nach einem Nervenzusammenbruch zur Erholung mit der Tochter ans Meer gefahren, Vater und Sohn sind auf sich gestellt. Julian kümmert sich um den Haushalt, schmiert dem Vater Stullen für die Mittagspause und hilft sonntags dem Pfarrer in der Kirche. Außerdem fühlt er sich immer stärker zur Stieftochter des Nachbarn Gorny hingezogen, der 15-jährigen Marusha, die etwas frühreif ist und faszinierend offen über Sex spricht. Doch was für Julian als Schwärmerei beginnt, nimmt eine dramatische Wendung, als Marusha ihm an einem besonders heißen Tag tatsächlich Avancen macht...
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„Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren, nie“: Ein Auftritt der vier Beckmann-Geschwister bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen mit Texten von Ralf Rothmann bildete den Ausgangspunkt des Filmprojektes, weshalb die Kinopremiere am 1. Mai 2016 in der Essener Lichtburg auch unter dem Label des „Kunst gegen Kohle“-Festivals lief: Winkelmann schrieb das Drehbuch zusammen mit zwei der vier Herner „Spielkindern“, Nils und Till Beckmann, und besetzte die weibliche Hauptrolle an der Seite ihres Lebens- und Hamburger Bühnenpartners Charly Hübner mit dem dritten „Spielkind“ Lina Beckmann.
Ein Sommer in den 1960er Jahren im Ruhrgebiet. Der Krieg ist längst vorbei, die qualmenden Schlote des Reviers zeugen davon, dass Kohle und Stahl die Grundpfeiler gewesen sind für den „Wirtschaftswunder“ genannten Aufschwung aus Ruinen. Walter Collien, sein Kumpel Herbert Lippek und die anderen Bergleute müssen vor Kohle noch mit Bohrhämmern 'ran und bei dieser Kraft zehrenden reinen Handarbeit ohne maschinelle Hilfe jede Menge Staub schlucken. Nicht nur, weil das Geld nicht für einen gemeinsamen Urlaub reicht, bleiben alle daheim. Mutter Liesel Collien leidet unter Gallenkoliken, während sich der zwölfjährige Julian von der Schule erholt, in der noch die Prügelstrafe Anwendung findet unterm Christenkreuz. Senge gibt’s freilich nicht nur vom Lehrer Dey, sondern auch daheim von Muttern – und das nicht zu knapp mit dem Kochlöffel auf den freilich lederbehosten Hintern.
Das Haus, in dem die Colliens wohnen, gehört Konrad Gorny, der in der Nachbarwohnung mit Gattin Trudchen und der fast 16-jährigen Tochter Marusha aus ihrer ersten Ehe lebt. Gorny ist auf Zeche ein höheres Tier, Fördermaschinist über Tage. Wenn die Bergleute aus dem Schacht von Gorny wieder ans gleißende Tageslicht befördert werden, ist erst 'mal eine Flasche Milch fällig. Und dann 'ne Kippe: Rauchen gilt nicht als gesundheitsgefährdend und Bier als äußerst nahrhaft. Auch unter den jungen Leuten, die in den Ferien auf Halden und in Kiesgruben abhängen und allerlei Unsinn machen.
Für den Klatsch in der Kolonie ist die Seltersbude da, wobei die Büdchenfrau in den seltensten Fällen Selterspullen über den Tresen reicht. Sie ist eine Institution, die in gewisser Weise auch eine soziale Kontrolle ausübt und ein besonderes Auge auf die verruchte Frau Morian hat, die einmal bessere Tage in einem Nachtklub irgendwo in einer Großstadt erlebt hat. Und jetzt mit ihrer offenherzigen Art neugierigen Jungs wie Julian regelrecht Angst macht. Der riskiert jetzt häufiger einen Blick auf die frühreif-laszive Marusha, die sich um eine Stelle als Verkäuferin bewirbt und bis dahin ihre langen Beine über die Brüstung des gemeinsamen Balkons streckt.
Julian, im Roman ein nicht auf den Mund gefallener Ich-Erzähler, kümmert sich liebevoll um seine kleine Schwester Sophie, schmiert in Abwesenheit der Mutter, die mit der Kleinen zur Oma nach Schleswig an die See fährt, um sich von der Gallen- und von der Seelenpein zu erholen, Brote für seinen Vater und dient auch während der Ferien sonntags in der Messe bei Pfarrer Stürwald, welcher mitten im Leben steht und Fünfe gerade sein lässt. „Du bist doch ein Gucker“: Julian schaut durch die Fensterscheibe der Schwarzkaue, wenn sein Vater und die anderen sich den Kohlenstaub vom Körper duschen. Marushas „Vater“ Gorny interessiert sich auffallend für den Jungen, wenn Papa Collien im Streb auf Maloche steckt. Leiht ihm sein Fernglas und lädt ihn in seine Werkstatt ein. Absichtsvoll weggeguckt hat Julian, als er Marusha und ihren muskulösen Freund Jonny miteinander aufm Klo erwischt hat. Dafür lässt ihn Jonny, ein netter Kerl hinter rauer Schale, auf seiner Kreidler mitfahren.
An einem heißen Sommertag entlädt sich die latente erotische Spannung auf eine Weise, die Julian samt Familie aus der Bahn wirft: Papa Collien war mit Oscar und Marusha bei Herbert Lippek zu Besuch, der mit seinem Aufgesetzten alle zugedröhnt hat. Am anderen Morgen ist Walter aus dem Zimmer der Nachbarstochter geschlichen – und nicht nur sein Sohn Julian hats mitbekommen, sondern auch der alte Gorny. Der sofort die Kündigung ausgesprochen hat, was Mutter Liesel, als sie von ihrer „Kur“ zurückkommt, vor vollendete Tatsachen stellt. Julian packt seine Sachen, läuft von zu Hause weg und vertraut sich Pfarrer Stürwald an. Aber kann man überhaupt die Sünden eines anderen beichten? Als auf der Zeche die Sirene heult, weiß jeder, dass unter Tage etwas passiert sein muss. Auch Julian drückt sich am Tor die Nase platt...
Winkelmann hat den 230-seitigen Roman, der aus der Perspektive des Ich-Erzählers Julian geschrieben ist mit Ausnahme der Passagen aus der Arbeitswelt unter Tage, zu einem bildgewaltigen zweistündigen Heimatfilm verdichtet, der die Perspektive beibehält und den Stilbruch auch optisch umsetzt, indem sich Farbe und Schwarz-Weiß auf der Leinwand recht unvermittelt abwechseln. Natürlich musste gestrafft werden - um Gornys ganze „eigene“ Kinderschar etwa oder um die Episoden im „Tierclub“. Nur das dramatische Finale ist eine hinzuerfundene Zuspitzung. „Junges Licht“, grandios besetzt mit glaubhaften „Typen“, die exakt den lakonisch-rauen Ton des Romans treffen, ist im Sommer 2015 an Originalschauplätzen u.a. 1.000 Meter unter Tage auf Zeche Auguste Victoria 3/7 in Marl gedreht worden. Dabei liefert der 14-jährige Oscar Brose aus Wetter/Ruhr, der bereits über erste Theatererfahrungen in Essen verfügte, ein eindrucksvolles Filmdebüt. Er wurde beim Casting im Dortmunder U-Turm aus dreitausend Gleichaltrigen ausgewählt.
Pitt Herrmann