Inhalt
Verfilmung des autobiografischen Romans "Zu viele Männer" von Lily Brett. Die Geschichte spielt im Jahr 1991 und handelt von der in New York lebenden Fotojournalistin Ruth Rothwax. Ruth ist erfolgreich, leicht neurotisch und überzeugter Single - eine typische New Yorkerin. Ihre Eltern stammen aus Polen, haben als Kinder Auschwitz überlebt und sind einst über Australien nach New York gekommen. Nun reist Ruth mit ihrem verwitweten Vater Edek nach Polen, um die Geschichte ihrer Familie zu erforschen. Die einwöchige Spurensuche soll nach Warschau, Lodz und Auschwitz führen – eine Woche voller emotionaler Momente, absurd-lustiger Situationen, aber auch grotesker und erschreckender Beobachtungen. Vor allem aber könnte die Reise die brüchige Beziehung von Ruth und Edek festigen.
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Julia von Heinz hat für „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“, im Abspann sind Fotos besagter Reise von Lily und Max zu sehen, die antipolnischen Ressentiments der Vorlage weitgehend eliminiert und mit dem legendären britischen Komiker Stephen Fry, der sich seit geraumer Zeit mit der eigenen jüdischen Herkunft auseinandersetzt, eine ideale – und übrigens polnischsprachige – Besetzung für Vater Edek Rothwax gefunden. An seiner Seite die durch die Kult-Serie „Girls“ bekanntgewordene New Yorker Schauspielerin, Filmregisseurin und Schriftstellerin Lena Dunham als seine Tochter Ruth, eine 36-jährige Journalistin, die auch ein Jahr danach den Tod ihrer Mutter nicht verwunden hat und sich auf der Suche nach der eigenen Identität auf die familiären Wurzeln besinnt.
Flughafen Warschau, 1991. Ruth ist sauer auf ihren chaotischen Vater Edek, weil der offenbar nicht zum ersten Mal seinen Flug verpasst hat und sie im fremden Land, dessen Sprache sie nicht versteht, auf ihn warten muss. Back tot he roots: Sie hat die Rundreise nach Krakau, Oswiecim und Łódź minutiös vorbereitet, hat Eisenbahn-Fahrscheine gekauft, Hotelzimmer und englischsprachige Guides gebucht. „Wer steigt schon in einen Zug ohne Toilette“: Papa Edek, der seit 50 Jahren erstmals wieder polnischen Boden betritt, verpflichtet kurzerhand mit Stefan den „besten Taxifahrer von Warschau“ und freut sich wie ein kleines Kind darauf, in einem Mercedes herumkutschiert zu werden.
Zugegeben, er hasst die Deutschen, nicht aber ihre Ingenieurskunst. Auch sonst muss „Ruthie“ um des lieben Friedens willen mit Papas Marotten leben lernen: im Warschauer Hotel Central und in allen anderen Nobelherbergen geht Edek großzügig mit Trinkgeldern um, macht sich über ihre „Körnerfresserei“ beim Frühstück lustig und sabotiert ihre Reisepläne gleich bei der ersten Station: statt ins Elternhaus und zur großelterlichen Baumwollfabrik, Łódź war einst eine Hochburg der Textilindustrie, dirigiert er den wortkargen Stefan zu einer angeblichen Mauer des Warschauer Ghettos („A wall is a wall“) und ins Chopin-Museum.
„Einst war es schön hier“, sagt Edek, als sie an hässlichen Plattenbauten in Łódź vorbeifahren. An einer Hauswand eine Zeichnung mit einem Davidstern unterm Galgen. In Edeks Elternhaus ist gleich 1940 die polnische Familie Ulicz eingezogen: die Großmutter Zuzana bestreitet, dass noch Gegenstände von früher vorhanden sind. Doch Edek erkennt sowohl Mobiliar als auch Geschirr von seinen Eltern. Anderntags wird Ruth mit Hilfe des jungen Hotelpagen Tadeusz als Dolmetscher das meiste für mehrere tausend Dollar vom geldgierigen Ehepaar Antoni und Irena Ulicz zurückkaufen, darunter auch einen Mantel mit den eingestickten Initialen ihres Großvaters Israel Rothwax.
Bei einem Gespräch zwischen Vater und Tochter vor dem Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau kommen sich die beiden näher. Nicht zuletzt, weil sich der lebensfrohe Edek mit zwei älteren Damen angefreundet und zusammen mit Tadeusz am Karaoke-Abend des Krakauer Hotels „Life is life“ gesungen hat, hatte sich Ruth von ihm zurückgezogen. Edek zeigt erstmals Verständnis für seine neurotische Tochter, die sich nur noch mit Literatur über das Dritte Reich zu beschäftigen scheint. Was sich nach dem emotional aufrüttelnden, alte Erinnerungen an die Kindheit weckenden Besuch des Vernichtungslagers noch verstärkt: Edek gräbt eine vor fünfzig Jahren versteckte Kassette mit Papieren und Fotos der Familie aus und überlässt Ruth, ob sie ihr polnisches Erbe antreten oder weiterhin als Amerikanerin in New York leben will…
Die Adaption des Schlüsselromans „Zu viele Männer“ vollendet nach „Hannas Reise“ (2013) sowie „Und morgen die ganze Welt“ (2020) die „Aftermath“-Trilogie der Regisseurin Julia von Heinz, die sich mit den Auswirkungen des Holocaust auf nachfolgende Generationen beschäftigt.
Pitt Herrmann