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Italien, Sommer 1961. Eine Gruppe junger Höhlenforscher aus dem Piemont reist nach Süditalien, um bislang unerforschte Höhlen zu erkunden. Im Pollino, einem schwer zugänglichen Gebirgszug an der Grenze zwischen Kalabrien und der Basilikata, schlagen sie bei einem Dorf ihr Quartier auf. Während die Bewohner ihrem Alltag nachgehen, machen sich die Wissenschaftler auf den Weg zur Höhle. Sie begeben sich in ein fremdes Terrain und entdecken schließlich den "Abisso del Bifurto", mit 687 Metern eine der tiefsten Höhlen der Welt.
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Als der italienische Regisseur Michelangelo Frammartino, in Deutschland vor allem durch „Vier Leben“ bekannt, im Januar 2007 in Kalabrien „le quattro volte“ drehte, machte ihn Antonio „Nino“ La Rocca, der Bürgermeister des kleinen Ortes Villapiana, auf die Berge von Pollino aufmerksam. Der an der Grenze zur Basilikata gelegene Höhenzug der südlichen Appenien war bereits im Sommer 1961 Ziel einer von Giulio Gècchele geleiteten Expedition piemontesischer Höhlenforscher.
Während des Wirtschaftsbooms in den 1960er Jahren, wo im wohlhabenden Norden Italiens der Pirelli Tower, mit 127 Metern seinerzeit das höchste Gebäude des Landes, errichtet wurde, ging es im unberührten Hinterland Kalabriens darum, die tiefste Höhle Europas zu erkunden. Das Team erreichte erstmals den Boden des „Abgrunds von Bifurto“ in 687 Metern Tiefe. Was von den Bewohnern des kleinen Nachbardorfes unbemerkt blieb, nicht aber von einem alten Hirten, dessen einsames Leben sich mit einem Schlag veränderte.
„Nino“ hat 2016 eine weitere Expedition organisiert, um den Verlauf der Höhle genauer zu erforschen. Michelangelo Frammartino, der sich auch durch ein Gespräch mit dem inzwischen 82-jährigen Giulio Gècchele inspirieren ließ, und sein Kameramann Renato Berta begleiteten von August bis Oktober 2019 ein Dutzend junger Höhlenforscher, die mit einer 60 Jahre alten Ausrüstung die erste Expedition nachgestellt haben. „Il Buco – Ein Höhlengleichnis“ ist somit ein Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm, der ohne Dialoge auskommt.
Als die jungen Leute am Bahnhof von Villapiana ankommen, schaut das Dorf vor der einzigen Bar kollektiv im (Schwarzweiß-) Fernsehgerät eine Reportage über den neueröffneten Pirellone samt Chefetage im 30. Stock – aufgenommen aus der schwindelerregenden Außenperspektive eines kleinen Außenaufzugs zur Reinigung der Scheiben.
Frauen waschen im kleinen Gebirgsfluss gerade Kleidung, als der geländegängige LKW mit der Ausrüstung der Expedition diesen unweit von ihnen überquert. Frammartino dokumentiert die exakte Vorbereitung des nicht ungefährlichen Unternehmens, ist aber gleichzeitig am kargen, aber deshalb keinesfalls freudlosen Alltagsleben des kleinen süditalienischen Ortes inmitten einer grandiosen Landschaft interessiert.
Renato Bertas Kamera verfolgt das spannende Geschehen in der klaustrophobischen Enge des verzweigten Höhlengeflechts, das streckenweise nur mit einem in die Tiefe herabgelassenen Schlauchboot erkundet werden kann, parallel zum Alltag des hochbetagten Rinderhirten. Als dessen Maultier eines Nachmittags allein zur Hütte zurückkehrt, schwärmen die Kollegen mit Fackeln aus und finden den Vermissten friedlich eingeschlafen unter einem Baum. Er wird noch einige Tage auf seinem Bett in der Hütte liegen, aber nicht mehr richtig zu Bewusstsein kommen, bis der herbeigerufene Arzt seinen Tod feststellt.
Frammartinos kontemplative Filme sind, wenn man sich auf sie einlässt, auch eine Reise ins Innere des Betrachters. Würde man den 1968 in Mailand geborenen Regisseur, der erst nach einem Architekturstudium über die Fotografie zum Film kam, fragen, was ist ihm am Kino das Wichtigste ist, müsste er nach „il buco“ antworten: Das Dunkle. Seine Filme sind Meditationen über das Leben und schenken dem Zuschauer Zeit, auch über sich selbst nachzudenken.
Die Koproduktion u.a. mit Essential Films Berlin und dem ZDF ist nur auf der großen Kinoleinwand ein Ereignis. Die Deutsche Erstaufführung fand am 11. November 2021 zur Eröffnung des 70. Int. Filmfestivals Mannheim-Heidelberg statt.
Pitt Herrmann