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1966 kehrt Hildegard Knef nach Deutschland zurück. Sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und gibt ein Konzert in der Berliner Philharmonie. Ihr Auftritt ist das erste nichtklassische Konzert in dem neuerbauten Saal mit 2.400 Plätzen und seit langem ausverkauft. Trotzdem ist es eine schwierige Rückkehr mit einer langen Vorgeschichte. Als ihre Maschine in Berlin-Tempelhof ausrollt, wird sie von begeisterten Journalisten empfangen. "Hilde ist zurück!" – und sie ist gut vorbereitet. Ihr Schritt ist forsch und ihr Auftritt auf der kurzen Pressekonferenz selbstbewusst und schlagfertig. Hildegard Knef weiß, was sie will. Sie ist ein Profi, ein Star, der sich nichts anmerken lässt. Denn so euphorisch ihr Empfang 1966 auch ist, die Rückkehr hat für sie auch viel Bedrückendes. Berlin ist nicht nur der Ort, an dem Hildegard Knef aufwuchs und große Erfolge erlebte, in Berlin hat sie auch ihre bittersten Niederlagen erfahren.
Nach Filmerfolgen und Fehlgriffen, den falschen und den richtigen Männern, lähmender Langeweile in Hollywood und einer turbulenten Hassliebe zum deutschen Publikum muss die Kämpfernatur Hilde lernen, dass manchmal andere Dinge zählen im Leben. In ihrer eigenen Geschichte und im Inneren ihrer Seele findet sie die Substanz für jene "Hilde", auf die sie und das deutsche Publikum immer gewartet haben. Hildegard Knef war "Die Sünderin", ein Kinotraum, ein Weltstar, eine Ikone, und sie war ausgesprochen cool. In "Hilde" erzählt der Regisseur Kai Wessel einen deutschen Lebensweg nach dem Zweiten Weltkrieg.
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Berlin 1943. Unbeeindruckt von den Zweifeln ihrer so herrsch- wie eifersüchtigen Mutter Frieda (markante Episodenrolle: Johanna Gastdorf als bigotte Verdrängungskünstlerin) spricht die 17-jährige Hildegard im Babelsberger Ufa-Besetzungsbüro vor. Und hinterlässt bei dessen Leiterin Else Bongers einen so nachhaltigen Eindruck, dass sie eine lebenslange Fürsprecherin, Beschützerin und vor allem Freundin gewinnt. Die lebensgierige, vom aufgeregten Treiben des Potsdamer Studiolebens geblendete Hilde schlägt alle Warnungen in den Wind und wird zur Geliebten des – verheirateten – Reichsfilmdramaturgen Ewald von Demandowsky, in dessen Charlottenburger Villa (gedreht wurde im Hohenhof Henry van der Veldes in Hagen) sie einzieht. Und dem sie auch in den letzten Tagen des untergehenden Tausendjährigen Reiches nicht von der Seite weicht.
In die Berliner Trümmerwüste zurückgekehrt, verschafft ihr der Musiker Ricci Blum (glänzendes Debüt für Roger Cicero) einen Job in einem Club der US-Army, wo der Filmoffizier Kurt Hirsch auf sie aufmerksam wird. Beide verbindet eine zunächst eher lockere Freundschaft, denn Hilde wird vom berühmten Theaterdirektor Boleslaw Barlog engagiert und feiert rasch glänzende Erfolge auf den „Brettern“. Sodass auch Erich Pommer, einer der wichtigsten Filmproduzenten der Weimarer Republik, der nun im Auftrag der Amerikaner die deutsche Filmindustrie zu neuem Leben erwecken soll, auf Hilde aufmerksam wird. Und sie zu „dem“ Gesicht des neuen deutschen Films macht, spätestens nach ihrem großen Erfolg in „Die Mörder sind unter uns“.
Doch Hilde setzt einmal mehr ihren Kopf durch, heiratet Kurt Hirsch und folgt ihm nach Hollywood. Es sollten drei verlorene Jahre im goldenen Käfig werden, die sie auch von ihrem Mann entfremden: Hilde bleibt ohne akzeptables Rollenangebot und kehrt mit Pommers Hilfe 1950 nach Deutschland zurück, wo sie von Willi Forst für „Die Sünderin“ verpflichtet wird: Eine kurze, aus heutiger Sicht völlig unspektakuläre Nacktszene sorgt für einen der größten Skandale der deutschen Filmgeschichte. Hilde wird geächtet, verliert nicht nur ihren Kempinski-Stammplatz am Kudamm, sondern alle Filmaufträge - und kehrt verbittert in die USA zurück.
Aus dem Nichts, aber sicherlich befördert durch die harte Barlog-Schule, steigt Hildegard Knef am Broadway wie Phönix aus der Asche zum Weltstar auf: 675 ausverkaufte Vorstellungen von Cole Porters Musical „Silk Stockings“, dazu ein gutes Dutzend internationale Filmproduktionen u.a von Anatole Litvak („Decision Before Dawn“), Henry Hathaway („Diplomatic Courier“) und Henry King („The Snows of Kilimanjaro“, „Night Without Sleep“). Als Hilde 1959 bei Dreharbeiten in London dem Charme des – verheirateten - Schauspielerkollegen David Cameron erliegt, hat sie ganz wider Erwarten den Mann fürs Leben gefunden: Der junge Brite lässt sich weder von ihren Diven-Allüren noch von Negativ-Schlagzeilen der Boulevardpresse aus dem Konzept bringen, sondern lässt sich scheiden, heiratet Hilde in aller Stille und kümmert sich fortan selbstlos nur noch um die Organisation ihres täglichen Chaos.
„Wer ist Hildegard Knef?“ hat Erich Pommer einst gefragt. Jetzt, Mitte der 1960er Jahre, scheint sie endlich eine Antwort darauf gefunden zu haben: Hilde mietet ein Studio und nimmt erste Lieder auf. 1966 ist es soweit: die Berliner Philharmonie ist ausverkauft, doch der Parkettplatz neben Else Bongers leer. Der Mann, dem sie dieses Konzert widmet, ist nicht nach Berlin gekommen...
Kai Wessels in den Medien stark kritisiertes, vom Berlinale-Publikum aber zu recht gefeiertes Biopic, das sich auf Lebensstationen zwischen 1943 und 1966 konzentriert und dennoch häufig im Tempo atemlos wirkt, steht und fällt mit Heike Makatsch in der Titelrolle. Denn die meisten älteren Kinobesucher haben ein ziemlich festgefügtes und jedenfalls stark kontroverses Bild der Künstlerin, die am 28. Dezember 1925 in Ulm geboren wurde und am 1. Februar 2002 in Berlin starb. Hier galt es für die 1965 in Stockholm geborene Drehbuchautorin Maria von Heland, aus der unverbauten Außenperspektive heraus die vielfältigen Facetten der Hildegard Knef herauszuarbeiten.
Binnen immerhin 136 Minuten ist das Heike Makatsch ganz ausgezeichnet gelungen: Man muss „die Hilde“ nicht sympathisch finden, bringt aber Verständnis für sie und die ziemlich radikalen Volten ihres Lebens, eines für Nachkriegs-Deutschland im übrigen gar nicht so außergewöhnlich verschlungenen Weges beiderseits des Großen Teichs, auf. Das gelingt Heike Makatsch, welche die durch das Zeitfenster des zunächst am 14. April 2010 bei Sky gezeigten und dann am 29. September 2011 im ZDF erstausgestrahlten Films viel zu kurz kommenden Songs mit der WDR-Bigband neu aufgenommen hat, durch eine sensationelle Leinwandpräsenz. Die das Publikum quasi handstreichartig einnehmen lässt für eine zerrissene und manchmal auch widerwärtige Persönlichkeit, die für den eigenen beruflichen Erfolg alles einsetzt, auch die Liebe ihres ersten Gatten. Kurt Hirsch hat als deutsch-tschechischer Jude das KZ Dachau überlebt und Hilde nach dem gemeinsamen, aufwühlenden Besuch der Vorführung eines Auschwitz-Dokumentarfilms als erster die Hand und mehr zur Versöhnung gereicht: „Zufall, es ist doch Zufall, dass du unter Tätern geboren bist und ich unter Opfern.“
Pitt Herrmann