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"Hat Ihre Mutter gearbeitet? Waren Sie Pionierin? Was wollten Sie werden?" Gleich zum Einstieg klopft Filmemacherin Sabine Michel die wichtigsten Eckpunkte der Biografien ihrer Protagonistinnen ab – vier prominente Ostpolitikerinnen: Anke Domscheit-Berg von der Partei Die Linke, Manuela Schwesig von der SPD, Yvonne Magwas der CDU und Frauke Petry, die ehemals der AfD angehörte und jetzt fraktionslos ist. Das Setting der Interviews ist auffällig puristisch: Die Frauen erzählen größtenteils auf einem Stuhl vor einer weißen Wand. Sie schildern die Motivation für ihr politisches Engagement, ihr persönliches Erleben der Wende und ihre Rolle als Frau in der Politik. Dadurch entsteht ein intensives Porträt sehr unterschiedlicher Charaktere.
Quelle: DOK.fest München 2023 / Anja Klauck
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Diesem Aufmerksamkeit erheischenden, furiosen Auftakt folgen längere, ruhige Passagen, in den die vier Frauen, davon mit der Schweriner Ministerpräsidentin Schwesig und der Bundestags-Vizepräsidentin Magwas zwei in politischen Führungspositionen, ausführlicher zu Wort kommen. Sie erzählen von ihrer Kindheit in der DDR, der Selbstverständlichkeit, berufstätige Mütter zu haben und daher wochentags in Krippe und Hort versorgt worden zu sein, von der Entwurzelung der Biografien ihrer Familien und Freunde nach dem Kollaps der Staatswirtschaft und dem folgenden Zusammenbruch des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates. Und davon, dass die Probleme der Menschen zwischen Fichtelberg und Kap Arkona mit der neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung kaum geringer geworden sind.
Sabine Michel und Uwe Mann begleiten die erste Frau Mecklenburg-Vorpommerns auf Firmenbesuchen in Greifswald und Rostock, schauen beim Wahlkampf-Canvassing Yvonne Magwas im vogtländischen Falkenstein und Anke Domscheid-Bergs in Fürstenberg an der Havel dem Volk aufs Maul und sind Zeugen, wie die einstige AfD-Frontfrau und spätere fraktionslose Bundestags-Abgeordnete Frauke Petry ihr Berliner Büro räumt. Sie kehrt der Politik den Rücken und muss, zumal als sechsfache Mutter, nun ein neues Betätigungsfeld finden, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Apropos Mutter. Frauen in der Politik sind zu Kompromissen gezwungen – mit der eigenen Familie. Yvonne Magwas nimmt auch auf einer Parteiveranstaltung der Frauen-Union kein Blatt vor den Mund: bei 22 Sitzungswochen in Berlin und zahllosen Wochenendterminen im eigenen Wahlkreis muss sie die Klagen ihres kleinen Kindes, das allzu häufig bei den Großeltern „geparkt“ wird, ertragen. Frauke Petry, in Dresden geboren und noch vor der Wende mit ihren Eltern nach Dortmund gezogen, ist als aus der DDR kommende Schülerin im Aplerbecker Gymnasium gemobbt worden. Sie bringt ihre Erfahrungen in beiden deutschen Staaten in eine treffende Analyse der heutigen Stimmungslage ein: die Westdeutschen verstehen sich als Europäer, auch durch ihre touristischen Erlebnisse als Weltbürger, während die über Jahrzehnte eingesperrten Ostdeutschen in erster Linie Deutsche sein wollen.
„Frauen in Landschaften“, gedreht in Corona-Zeiten zwischen August 2021 und Oktober 2022, versteht sich als filmische Reise durch die fünf östlichen Bundesländer mit vier Protagonistinnen, die in Herkunft und Prägung, aber auch im beruflichen Werdegang überraschend zahlreiche Parallelen aufweisen. Bei aller unterschiedlichen politischen Orientierung kommt eine weibliche Perspektive auf die Wiedervereinigung und ihre Folgen bis heute zum Tragen, die teilweise weit ins Persönlich-Private hineinreicht. Sabine Michel ist dennoch um die – notwendige - Distanz der Dokumentaristin bemüht.
Der knapp neunzigminütige Film, in dem die Tagespolitik für meinen Geschmack eine zu große Rolle spielt auf Kosten des ursprünglich intendierten Hauptthemas „Frau und Ostdeutsche in der Politik“, ist nach „Zonenmädchen“ (2013) und „Montags in Dresden“ (2017) der finale Teil der „Ost-Trilogie“ Sabine Michels.
Pitt Herrmann