Frankfurter Tor

Deutschland 2004 TV-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Es ist windig, eine leere Bierdose rollt über den Asphalt. Nur eine kurze Momentaufnahme vor dem Gespräch Volker Koepps mit einer Mitarbeiterin der „Vorsortieranlage Frankfurt/Oder“, die das „Frankfurter Tor“ genannte Gelände an der Autobahn A 12 Berlin-Frankfurt seit Kindesbeinen kennt: Aus Ackerland wurde zu DDR-Zeiten eine Apfelbaum-Plantage – und nach der Wende eine gigantische asphaltierte Fläche für Lastkraftwagen.

500.00 Fahrzeuge mit 750.000 Personen passieren diesen Ort, Zwischenstation auf dem Weg über die polnische Grenze, durchschnittlich im Jahr, täglich werden 1.500 LKW abgefertigt, in Spitzenzeiten rund um die Uhr 2.500 Lastzüge. Und damit mehr Menschen, als die Grenzstadt Frankfurt/Oder Einwohner hat. Thomas Plenerts Kamera fängt die Nationalitätskennzeichen ein: Litauen, Russland, Belarus (Weißrussland), Bulgarien, Polen, aber auch Dänemark und Italien. Ein „D“-Kennzeichen ist nicht dabei an diesem Hotspot des Warenverkehrs von West nach Ost.

Dessen Tage bereits gezählt waren, als Volker Koepp hier im August 2003 im Auftrag des rbb Brandenburg (PL Rainer Baumert) drehte: Nach dem Referendum Anfang Juni des Jahres stand fest, dass Polen am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beitreten wird und sich damit die EU-Grenze weiter nach Osten verschiebt. Für einen Trucker aus Kasachstan mit Ladung für Alma Ata entfällt dann eine von bisher vier Wartezeiten auf der langen Strecke. Polnische Fahrer sehen diese Entwicklung dagegen skeptisch, fürchten eine Teuerungswelle, auch wenn ihnen der Zloty als Währung erhalten bleibt.

Die Trucker unterhalten sich, soweit sie sich untereinander sprachlich verständigen können, rauchen, trinken Kaffee und bereiten auf kleinen Gaskartuschen Speisen zu. Die Wartezeit von zwölf Stunden hat sich erheblich verlängert, seit der polnische Zoll eine Waage in Betrieb genommen hat. Was bei knapp 40 Grad Celsius im Schatten schon an Körperverletzung herankommt, weshalb LKW-Fahrer hier kürzlich die Autobahn blockiert haben: Zu wenig Toiletten und keine Waschräume im „A 12 Center“, zu lange Wartezeiten. Nur wer verderbliche Waren (Schnittblumen, Fische auf Eis), lebende Tiere oder humanitäre Hilfsgüter geladen hat, wird ohne Wartezeit durchgewunken wie die durch das Kürzel ADR gekennzeichneten Gefahrguttransporter.

Die Fahrzeuge werden blockweise auf die Weiterfahrt nach Polen geschickt, dabei wird streng auf die zeitliche Reihenfolge geachtet. Wer sich nicht daran hält, wird spätestens an der Grenze vom Zoll zurückgeschickt und muss sich erneut ganz hinten anstellen: Die elektronische Überwachung lässt sich nicht überlisten. Auch für Geburtstagskinder unter den Fahrern gibt es keine Ausnahmen. „Schläfer“, die eine Pause über die normale Wartezeit hinaus wünschen, werden zu einem gesonderten Stellplatz geleitet.

Heimat? „Zuhause ist zuhause“ erklärt ein Fahrer aus Lwiw (Lemberg), der regelmäßig Waren auf die Halbinsel Krim transportiert, aber von Russland aus auch nach Dänemark fährt. Es zieht ihn dennoch immer wieder auf den Bock seines Fahrzeugs wie auch der ukrainische Kollege aus Lugansk, der seit 18 Jahren Touren nach Polen, Italien und Deutschland fährt. Im Jahresschnitt ist er nur anderthalb Monate daheim, sagt aber trotzdem: „Man muss immer wieder los, das ist wie eine Sucht.“

Die Hilfsbereitschaft unter Kollegen sei gut, mit der Zeit habe man entlang der Routen gute Bekanntschaften entwickelt. Ein Trucker aus Litauen hat seine beiden Söhne dabei, es sind noch Schulferien daheim. Sie lernen jetzt Englisch als erste Fremdsprache, Russisch erst später, weshalb Gudrun Steinbrück, die 22-jährige Übersetzerin Koepps, es mit ihnen in dieser Sprache versucht. Sie waren gespannt auf Deutschland – und entsetzt über die holprigen polnischen Straßen, die ihnen den Schlaf geraubt haben.

Im Restaurant des Centers spricht die Kassiererin auch Polnisch. Ihre Großeltern waren Ostpreußen, ihre Eltern wurden aus Allenstein vertrieben und landeten in einem Auffanglager bei Frankfurt/Oder. Im benachbarten „Magazin“, eine Art Kaufhalle für Lebensmittel, Spirituosen und Haushaltswaren, arbeiten u.a. eine Ukrainerin aus Czernowitz und eine weißrussische Kollegin. Beide sind mehrsprachig und können so bei Übersetzungen helfen – und Bestellungen von Stammkunden entgegennehmen.

Die 73-minütige Doku „Frankfurter Tor“ kommt ohne Kommentar aus. Der Ort ist heute längst Geschichte. Was aber bleibt sind die Geschichten der Menschen, die bis zu 22 Stunden am Stück hier auf die Weiterfahrt gewartet haben: die meisten stoisch im Bewusstsein, dass es gen Osten nur noch schlimmer kommt, einige wenige, darunter ein Italiener, der erstmals hierhergekommen ist, lautstark sich beschwerend.

Pitt Herrmann

Credits

Regie

Drehbuch

Musik

Produktionsfirma

Alle Credits

Länge:
71 min
Format:
Digi Beta
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Aufführung:

TV-Erstsendung (DE): 29.04.2004, RBB

Titel

  • Originaltitel (DE) Frankfurter Tor

Fassungen

Original

Länge:
71 min
Format:
Digi Beta
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Aufführung:

TV-Erstsendung (DE): 29.04.2004, RBB