Inhalt
Hazals sehnlichster Wunsch: ein Leben. Trotz vieler Bewerbungen wird sie zu keinem einzigen Gespräch eingeladen. Stattdessen sitzt sie in einer Bildungsmaßnahme vom Jobcenter fest, die ihr auch keine neuen Möglichkeiten eröffnet. Aber an ihrem 18. Geburtstag fühlt sich Hazal stark. Es ist wie in alten Zeiten, als sie und ihre Freundinnen dachten, sie könnten alles erreichen, solange sie nur zusammenhalten. Erst als sie in der Schlange vor einem hippen Club stehen, wird Hazal klar, dass sie hier nicht hingehören. Und sie behält recht. Der Türsteher lässt sie abblitzen. Auf dem Heimweg werden sie von einem überheblichen Studenten belästigt, die Situation eskaliert. Die Wut über die nicht endende Ablehnung eruptiert und führt zu einer folgenschweren Tat. Hazal flieht Hals über Kopf nach Istanbul, eine fremde Stadt in einem ihr unbekannten Land. Dort muss sie allein überleben, koste es, was es wolle.
Ellbogen erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die aus der Gesellschaft verdrängt wird und die Weichen ihres Lebens neu stellen muss. Man will mit ihr durch die Nacht rennen, man will wissen, wie es mit ihr und mit uns allen weitergeht.
Quelle: 74. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Hazal kann eigentlich nur mit ihrer Tante reden. Die Schwester ihrer Mutter, die Hazal zur Ausbildung zu einem Friseur schicken will, bestärkt sie darin, ihr Abi zu machen, um später studieren zu können. Dennoch klaut Hazal Geld aus ihrem Portemonnaie, weil sie nach einem Ladendiebstahl erwischt wurde und dem schleimigen Detektiv Lars Immer 100 Euro „Fangprämie“ zahlen muss, um nicht bei der Polizei angezeigt zu werden.
An ihrem 18. Geburtstag will Hazal es so richtig krachen lassen. Sie brezelt sich mächtig auf, um mit Freundinnen Gül und Elma in einem angesagten Club zu tanzen, scheitert aber schon am Türsteher. Weshalb sich Hazal sogleich als „scheiß Opfer“ fühlt und sich ihren Frust in der U-Bahn-Station Frankfurter Tor am arroganten Maschinenbau-Studenten Thorsten abarbeitet, den sie auf dem Bahnsteig brutal zusammentritt.
Zu spät bemerkt sie die Überwachungskamera, leert die Bäckerei-Kasse und fährt mit dem Bus die Balkan-Route bis nach Istanbul. Wo sie von Mehmet, der mit seinem Kollegen Halil eine winzige Wohnung teilt, als „naive Deutschländerin“ nicht eben begeistert aufgenommen wird. Hazal durchstreift die ihr fremde Metropole, setzt sich am frühen Morgen zu alten Männern zum Vogelstimmen-Raten und googelt im Internet-Cafe Berliner Nachrichten, in denen von einem „Grausamen Mord in U-Bahnhof“ die Rede ist.
Als sich Mehmet als dealender Junkie erweist und die türkische Polizei auf der Suche nach dem „Politischen“ Halil mit ihr nicht viel Federlesens macht, muss Hazal sich allein am Bosporus durchschlagen, denn nach Berlin kann sie nicht zurück. Als Rettungsanker erweist sich einmal mehr ihre Tante: Sie kommt nach Istanbul und berichtet, dass Gül und Elma aus der Untersuchungshaft entlassen worden sind. Sie erwartet eine Anklage wegen Beihilfe, Hazal dagegen wegen Totschlag. Dennoch rät ihr die Tante, nach Deutschland zurückzukehren, die Haftstrafe zu akzeptieren und danach zu studieren. Doch Hazal zeigt keine Reue, noch nicht einmal Mitleid mit dem kaum älteren Opfer: „Es tut mir nicht leid!“
Mit „Ellbogen“ ist der 1986 in Karlsruhe geborenen Berliner Autorin Fatma Aydemir ein 2017 bei Hanser erschienener überaus erfolgreicher Debütroman gelungen, für den sie den Klaus-Michael-Kühne- und den Franz-Hessel-Preis erhielt. Die Geschichte einer jungen Frau, die aus einer Gesellschaft verdrängt wird, die nur die ihre sein kann, erzählt der Roman vollständig aus ihrem Inneren heraus.
Die 1986 in Berlin geborene Regisseurin Asli Özarslan hat Theater und Medien an der Universität Bayreuth sowie Philosophie und Soziologie an der Pariser Sorbonne studiert und nach redaktionellen Tätigkeiten für 3sat, ARD und ZDF noch ein Studium der Dokumentarfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg draufgesattelt. Für ihr Spielfilmdebüt „Ellbogen“ wollte sie keinen Text aus dem Off, aber dennoch nah an der Protagonistin bleiben. Ihre Rastlosigkeit, ihre Verletzlichkeit und ihre Wut überträgt sich 1:1 auf die Leinwand, sodass man nach 86 Minuten wissen will, wie es mit ihr weitergeht.
Was die Regisseurin offen lässt. Asli Özarslan im jip-Presseheft: „Hazal wendet sich - im positiven Sinne - von der Meinung der Mehrheitsgesellschaft ab. Doch sie ist weder ein eindimensionales ‚Opfer‘ noch eine Muster-Migrantin, die alles richtig macht. Sie ist eine komplexe Frauenfigur, die sich der Täter-Opfer-Dichotomie verweigert. Für uns ist sie eine manchmal ruppige, aber dennoch sympathische Figur. Sie trägt dazu bei, die Barrieren der Gesellschaft aufzuzeigen, die so schwer zu durchbrechen sind.“
Pitt Herrmann