Inhalt
Die drei Schwestern Reyhan (20), Nurhan (16) und Havva (13) leben mit ihrem Vater in einem abgelegenen Dorf in Zentralanatolien. Eine nach der anderen wurde als Dienstmagd in die Stadt geschickt, doch alle kehren wieder zurück, zuletzt Nurhan. Sie hat den Sohn des Arztes der Region geschlagen, weil er jede Nacht sein Bett nässt. Reyhan war bei ihrer Rückkehr schwanger und wurde vom Vater eilig mit dem Schafhirten Veysel verheiratet. Dieser begehrt in volltrunkenem Zustand gegen die Dorfältesten auf, was dramatische Folgen hat. Auch wenn sich für keine der jungen Frauen der Traum von einer besseren Zukunft erfüllt und sie untereinander immer wieder in Streit geraten, halten sie doch unverbrüchlich zusammen. Während sie darauf warten, dass die verschneiten Straßen wieder passierbar werden, vertreiben sich Vater und Töchter die Zeit mit Geschichten.
In eindringlichen Bildern erzählt Emin Alper, der selbst in den anatolischen Bergen aufgewachsen ist, ein Märchen. Er thematisiert eine Gesellschaft, in der weder Frauen noch Männer eine Chance haben, den vorbestimmten Kreislauf zu durchbrechen, und lässt dennoch Raum für Hoffnung.
Quelle: 69. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Die 15-jährige Havva hat als eine solche Besleme gearbeitet, sich um den Haushalt und Turan, das kleine Kind der Familie, gekümmert. Als dieses plötzlich stirbt, wird Havva durch eine karstige Steinwüste hindurch wieder in ihr entlegenes Bergdorf in Zentralanatolien zu ihrem verwitweten Vater Sevket zurückgebracht. Mit ihm zusammen leben Reyhan, seine mit 20 Jahren älteste Tochter, und deren Mann Veysel. Auch Reyhan hat in der Stadt als Besleme gearbeitet, beim angesehenen Arzt und Tankstellen-Besitzer Necati Bey. Ist dort aber, als sie angeblich vom Apothekerlehrling geschwängert worden ist, in Unehren entlassen und gegen ihren Willen mit dem ärmsten Mann des Heimatdorfes, dem Schafhirten Veysel, verheiratet worden. Es geht freilich das Gerücht, dass in Wahrheit der Hausherr Vater des Kindes ist.
Es dauert nicht lange, da bringt Necati Bey mit der 16-jährigen Nurhan auch die dritte Tochter Sevkets ins Elternhaus zurück. Seine Frau will die, so Reyhan, „verfluchte Hexe mit spitzer Zunge“ nicht mehr sehen, seit sie ihren bettnässenden Sohn geschlagen hat. Offenbar nicht der erste Vorfall der jähzornigen Besleme, weshalb sich der Arzt dagegen sträubt, es nun mit der dritten Schwester Havva zu versuchen. Für alle drei Töchter Sevkets hat sich der Traum von einer besseren Zukunft nicht erfüllt – und die Gegenwart verspricht keine Besserung. Im Dorf gibt es keine Arbeit, viele wie der alte Nuri (Mehmet Akin) klauben sich Kohle aus der längst geschlossenen, einsturzgefährdeten Mine, um sich mühsam über Wasser zu halten.
Reyhan führt eine freudlose Ehe mit ihrem aus ihrer Sicht allzu einfältigen Gatten, der weder lesen noch schreiben kann, aber davon träumt, in der Stadt einen auskömmlichen Job zu bekommen. Denn nachts draußen die Schafe zu hüten, hat er gründlich satt, fürchtet sich nicht nur vor Schlangen, Wölfen und Unwetter, sondern auch vor zwielichtigen Gestalten wie zwei angeblichen Viehhändlern (Emin Alper und Selim Güntürkün), die es auf die 50 Schafe der Dorfbewohner abgesehen haben.
„Die Mädchen haben mich blamiert“ lässt sich Sevket gegenüber Necati Bey und dem Dorfvorsteher vernehmen, bemüht sich aber gleichzeitig, die jüngeren Töchter wieder in der Stadt unterzubringen. Deren familiäre Bande ist bei allem Streit untereinander freilich stark und als Nurhan mitten im Winter ernstlich erkrankt, sind ihre Schwestern bereit, sie notfalls über den zugeschneiten und für den Verkehr gesperrten Pass ins städtische Krankenhaus zu tragen. Als Veysel, der sich von Reyhan – auch sexuell – gedemütigt fühlt, unter Alkoholeinfluss im Kamin so stark herumstochert, bis der Kessel aus der Verankerung fällt und das Baby vom heißen Wasser verbrüht wird, ist Reyhans Entschluss, zur Tante in die Stadt zu ziehen, endgültig. Zumal die als verrückt geltende, noch im Schnee ständig Purzelbäume schlagende Hatice den am Baum erhängten Veysel gefunden hat. Während sie darauf warten, dass die verschneiten Straßen wieder passierbar werden, vertreiben sich Sevket und seine Töchter die Zeit mit Geschichten. Als der Vater das Märchen von den drei undankbaren Mädchen erzählt, schläft Nurhan ein. Für immer?
„Eine Geschichte von drei Schwestern“, am 19. April 2019 unter dem Originaltitel „Kız Kardeşler“ beim Ankara International Filmfestival erstmals in der Türkei gezeigt, ist auf zahlreichen Festivals mit Preisen überhäuft worden. Der Film, der am am 25. August 2021 als Free-TV-Premiere bei Arte zu sehen ist, fesselt mit der Kargheit der Landschaft, der Einfachheit des Lebens und den sich stets verändernden Gemütslagen der Protagonisten. Die allesamt weder gut noch böse sind – vom verzweifelten Veysel über die drei Schwestern bis hin zu Necati Bey, einer Brecht-Figur, die im betrunkenen Zustand zum guten Menschen mutiert.
Ermin Alper im Grandfilm-Presseheft: „Der Film untersucht nicht nur soziale Ungleichheit, die Suche nach einem Ausweg, die Hoffnungen und Erwartungen, die an eine neue Umgebung gekoppelt sind, sondern auch die Hoffnungslosigkeit und den Mangel an Perspektiven, den insbesondere arme Menschen erleben. (…) Dies ist keine spezifische Geschichte, die an einem bestimmten Ort stattfindet, sondern eine universelle, da Menschen ständig mit ähnlichen sozialen Situationen und Gefühlen konfrontiert werden, egal, in welcher Weltregion oder in welchem Kontext sie sich befinden.“
Pitt Herrmann