Inhalt
Der junge Berliner Hannes ist vor einigen Jahren in die USA gezogen, um für eine amerikanische Computerfirma Fantasy-Spiele zu entwickeln. Als sein Vater stirbt, kehrt er zurück in die Heimatstadt, will sie jedoch nach Abwicklung der Formalitäten so schnell wie möglich wieder verlassen. Indessen holt die Vergangenheit ihn ein, darunter auch seine Ex-Freundin, die er damals abrupt verlassen hat. Das leere Elternhaus ängstigt ihn, und mit der Freundin seines Vaters kann er nicht sprechen. In dem Spiel "Drachenland", an dem er gerade arbeitet, setzt er sich mit seinen verdrängten Schatten auseinander.
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Schnitt. Berlin-Tegel. Johann Hoffmann kommt aus New York, wo er, obwohl noch jung an Jahren, bereits sehr erfolgreich als Computergraphiker tätig ist, um seinen kranken Vater, den Altphilologen Professor Hans Hoffmann, zu besuchen. Er wird am Flughafen von Frau Kahnt abgeholt, einer Historikerin. Die Kollegin und Lebensgefährtin seines Vaters übermittelt die Nachricht, dass dieser soeben nach seinem zweiten Herzinfarkt gestorben ist.
Johann folgt ihr zwar in die Klinik, wo der Leichnam jedoch, unerreichbar für die Angehörigen, bereits in die Pathologie transportiert worden ist, zeigt aber keinerlei Betroffenheit. Er hat seine Mutter bereits im zarten Alter von vier Jahren nach einem Autounfall verloren – und damit auch seinen Vater, der plötzlich kein Interesse mehr an seinem einzigen Kind gezeigt hat. Weshalb Johann gleich nach dem Abitur das Elternhaus verlassen hat – möglichst weit weg. Jenseits des Großen Teichs machte er rasch Karriere.
Johann bezieht Quartier in der elterlichen Villa, die bereits vor einigen Wochen aus irgendwelchen Gründen verkauft wurde und deren Räumung bevorsteht. Diese will er nun beschleunigen und auch alle behördlichen Formalitäten einschließlich der Beerdigung rasch hinter sich bringen, um wieder in die „Staaten“ zurückzukehren, wo er mit „Zacky“, mit dem er ständig per Handy verbunden ist, an der Entwicklung eines Computerspiels arbeitet.
Die Gefühlskälte des Sohnes ist für Frau Kahnt, die mehrfach vergeblich versucht, mit Johann ins Gespräch zu kommen, erschreckend. Nur sie weiß, dass Professor Hoffmann seine Flugangst überwinden und Johann in den USA besuchen wollte. „In der Höhle des Drachen“ lautet der Titel einer gemeinsamen Publikation des Verstorbenen mit der Historikerin über Berlins „Unterwelt“, die erst nach der „Wende“ erschlossen werden konnte: Kanäle, Tunnel, Röhrensysteme...
Auf dem Anrufbeantworter findet Johann die Stimme seines Vaters vor - wie seine eigene. Erst langsam bricht seine Starre auf. Er kramt in alten Erinnerungen, die auch ein neues Licht auf die Beziehung seines Vaters zu ihm werfen, besucht seine Jugendliebe Sophie, die er einst überstürzt hat sitzen gelassen und die jetzt mit einem Schriftsteller zusammenlebt. Heimat und Fremde: Während er den Absprung geschafft hat, ist Sophie jetzt Referendarin ausgerechnet an „ihrem“ Gymnasium.
Auch sein bester Freund führt inzwischen ein Leben, das sich gänzlich von dem Johanns unterscheidet: Der total verbürgerlichte Familienvater scheint freilich nur verbal unglücklich zu sein über seine strapaziöse Lage, die den Träumen von einst diametral entgegensteht. So kehrt Johann reichlich desillusioniert zu den „toten Gleisen“ zurück. Und kommt hinter das Geheimnis der Zuggeräusche.
Die Gespenster der Kindheit verfliegen jedoch allmählich, das Eis taut – auch durch einen Berlin-Schlager Marlene Dietrichs, einem Lieblingstitel seiner Eltern. Sentimentalität und Trauer gewinnen bei Johann die Oberhand und kommen zum Ausbruch, als er die gestrandete Marie kennenlernt. Johann erkennt, dass sein Fantasy-Computerspiel „Dragonland“ verblüffende Parallelen zu eigenen traumatischen Kindheitserlebnissen aufweist – mit der Villa, den „toten Gleisen“, dem Tunnel und seinem Vater, der immer wieder durch diese Geschichten geistert...
Florian Gärtners in Berlin gedrehtes psychologisches Kammerspiel „Drachenland“, uraufgeführt am 24. Januar 1999 im Wettbewerb um den Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken und dort mit dem Preis der Interfilm-Jury sowie dem Femina-Preis für Kamerafrau Judith Kaufmann ausgezeichnet, ist sein dritter Film für die ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“. Als „best director“ preisgekrönt auf dem TV-Festival Chicago 1999 bewahrt Gärtner glücklicherweise die letzten Geheimnisse. Der Film überzeugt durch die Kamera ebenso wie durch das Spiel der beiden Protagonisten: Auf der einen Seite Marek Harloff als zunächst völlig verschlossener, introvertierter, sehr „amerikanisch“ anmutender Junge, auf der anderen Julia Richter als Johanns Jugendliebe Sophie - eine lebensbejahende, mit beiden Beinen in der Realität stehende angehende Lehrerin.
Pitt Herrmann