Die Sprache der Vögel

Deutschland 1991 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
Thomas Wagenbach ist ein aufgeweckter Fünfjähriger, der in einer idyllischen ländlichen Gegend aufwächst – aber einschließlich der alleinerziehenden Nachbarin (Christel Peters) und ihrer kleinen Tochter Susanne (Axina Neumann) nur von Frauen umgeben ist. Mit einer, allerdings entscheidenden Ausnahme: Opa Richard Mutschke. Wenn Thomas ‘mal wieder kräftig ausgeschimpft worden ist, weil er in der Küche gespielt hat, als Oma Margarethe gerade eine fette Gans rupft und seine Mutter Eva (Katharina Tomaschewsky) einen Blechkuchen aus dem Ofen holt, ist der Großvater genau der richtige Seelentröster.

Er ist seinem quirligen Enkel nicht nur sehr zugetan, sondern hat auch immer Zeit für ihn, selbst wenn er in seiner ausgelagerten Werkstatt gerade eingenickt ist und unsanft geweckt wird. Für das kindlich-naive Gemüt von Thomas bringt er die nötige Geduld auf – im Gegensatz zur gestressten Mutter Eva, die sich nicht nur den kritischen Blicken und bisweilen auch ebensolchen Kommentaren von Oma Margarete ausgesetzt sieht, sondern auch denen der nur Omama genannten Urgroßmutter Hedwig (Doris Thalmer), Opa Richards Mutter.

Großvater singt zusammen mit seinem ebenfalls schon recht betagten Freund (Günther Drescher) im Männerchor, als Thomas ihm unbedingt die Zeitung bringen will. Selbst diese Störung nehmen die alten Herren lächelnd hin: So ist das Leben. Und dann kommt ganz plötzlich der Tod. „Herzversagen“ diagnostiziert der Arzt (Gerd Blahuschek), „das geht manchmal ganz schnell. Er muss bei der Arbeit umgefallen sein.“ Womit Opa Richards Basteleien gemeint sind, kleine technische Wunderwerke wie die Vogelsprechmaschine, eine kinetische Skulptur mit Vogelstimmen aus dem Cassetten-Recorder.

„Geduld und Präzision“, so hat er es Thomas gelehrt, sind die Grundvoraussetzungen für unkonventionelle Entwicklungen wie das Flaschen-Orchestrion an der Außenfassade seiner Werkstatt. Und Zusammenarbeit: „Klein und Groß, die einen können nicht ohne die anderen.“ Womit die unterschiedlichen Flaschengrößen und ihr ständig erneuerungsbedürftiger Befüllungsstand gemeint sind. Nun aber, da Opa im großelterlichen Schlafzimmer aufgebahrt liegt, bekommt diese Weisheit einen neuen Sinn: Nicht nur Omama, Oma und Mutter fehlt der männliche Schutz auf dem Hof, auch Thomas hat nun keinen Erzähler spannender Geschichten, keinen kundigen Erklärer der Tier- und Pflanzenwelt mehr.

Thomas kann sich den Tod nicht vorstellen. Schon gar nicht, da ihm der Opa erst neulich den Familienstammbaum, den er auf die Rückwand seiner Werkstatt gemalt hat, erklärt hat und warum hinter seinem Namen und allen anderen auf dem Hof lebenden Angehörigen nur ein Datum steht, das ihrer Geburt. Der Fünfjährige überlegt angestrengt, was das überhaupt heißt zu sterben. Seine Mutter erklärt, das sei wie Schlafen, „tief und fest und ohne Traum.“ Thomas dagegen ist sich sicher, dass Opa jetzt in den Himmel kommt, weshalb er ins Baumhaus steigt und sich die Zugvögel anschaut, die erste Formationen für ihre weite Reise in den Süden bilden. Hat Opa doch gesagt, er wünsche sich ein Vogel zu sein im zweiten Leben.

Als der Leichenbestatter (Michael Engel) den Sarg in seinen nagelneuen Daimler-Kombi verlädt, Fred Noczynskis Fernsehfilm ist in der unmittelbaren Nachwendezeit gedreht worden, weshalb auch Eva jetzt in einem gebrauchten VW Golf unterwegs ist, radelt der Junge wie wild auf dem Rad hinterher: „Opa, du wolltest mich doch mitnehmen!“ Er will seinen über alles geliebten Großvater, der viel mehr gewesen ist als nur Vaterersatz, auf dessen letzter Reise begleiten. Zumal ihm dieser einmal versprochen hat, ihn mitzunehmen in den Süden zu den Winterquartieren der Zugvögel.

Wie geht es nun weiter? Oma weigert sich strikt, das Doppelbett gegen ein Einzelnes zu tauschen, ist aber ansonsten bereit, allerhand Sachen abzugeben. Auch die Vogelsprechmaschine, für die sich ein Trödelhändler (Dieter Knust) interessiert. Thomas tobt, kann aber nur Skizzen und Entwürfe des begeisterten Tüftlers vor der Vernichtung retten. Als der Pastor (Frank Metzger) bei der Totenfeier samt Chorgesang vom Himmel spricht, wird der blumengeschmückte Sarg in die Erde versenkt. Das verstehe einer. Und dann dies: Oma behauptet, dass sich der Opa jetzt in einem kleinen, verschlossenen Gefäß befindet, das ihre Tochter gerade mit nach Hause gebracht und auf den Küchenschrank gestellt hat. Das will Thomas genauer wissen. Und schleppt die Urne auf die höchste Plattform des Baumhauses. „In meinem nächsten Leben möchte ich ein Vogel sein“, hat Opa gesagt. Nun fliegt seine Asche wie ein Vogel durch die Luft. Die Urnenbestattung auf dem Dorffriedhof findet danach trotzdem wie geplant statt. Da kann Oma Margarete noch so düster blicken, ein sichtbar glücklicher Thomas richtet seinen Blick gen Himmel…

Fred Noczynskis nur knapp sechzigminütiger Film „Sprache der Vögel“, am 20. November 1991 in der DFF-Länderkette erstausgestrahlt, gehört zu den letzten Produktionen des Deutschen Fernsehfunks (PL Peter Mäbert), der sich nicht wie von den fünf neuen Bundesländern gewünscht als drittes deutsches Vollprogramm neben ARD und ZDF etablieren konnte, weil die Begehrlichkeiten der West-Sender und ihrer kommerziellen Töchter dagegenstanden.

Zu den Klängen Ludwig van Beethovens erzählt „Sprache der Vögel“, wie Thomas versucht, den Tod seines über alles geliebten Opas zu begreifen. In der Erinnerung an gemeinsame Gespräche und Unternehmungen findet er schließlich für sich eine Erklärung des Phänomens Tod. Es ist eine auch entsprechend optisch ausgestaltete Geschichte voller Poesie, in der es Fred Noczynski nach einem Szenarium von Gabriele Gottschall mit großer Einfühlung gelungen ist, die Perspektive des fünfjährigen Kindes einzunehmen. Und daraus eine geradezu philosophische Betrachtung über das Leben und das Sterben zu entwickeln, die vielen Betroffenen, und nicht nur gleichaltrigen Kindern, über ihren Verlust hinweghelfen könnte.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
59 min
Format:
16mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 20.11.1991, DFF

Titel

  • Originaltitel (DE) Die Sprache der Vögel
  • Titelübersetzung (EN) The Language of Birds

Fassungen

Original

Länge:
59 min
Format:
16mm
Bild/Ton:
Farbe, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 20.11.1991, DFF