Inhalt
Der Film besteht aus zwei Geschichten, die sich nach 40 Minuten miteinander verbinden: In der ersten geht es um Khaled, einen syrischen Flüchtling. Als blinder Passagier eines Kohlefrachters landet er eher zufällig in Helsinki und beantragt ohne große Hoffnung auf die Zukunft Asyl. Wikström, die zweite Hauptfigur, ist Handelsvertreter für Krawatten und Männerhemden. Er kehrt seinem bisherigen Berufsleben den Rücken, setzt sein Pokerface am Glücksspieltisch ein und kauft ein Restaurant im letzten Winkel von Helsinki.
Als die Behörden Khaled das Asyl verweigern, beschließt er, wie viele seiner Schicksalsgenossen illegal im Land zu bleiben. Er taucht in der finnischen Hauptstadt unter und lebt auf der Straße. Dort begegnet er den verschiedensten Formen von Rassismus, aber auch coolen Rock n’ Rollern und aufrichtiger Freundlichkeit. Eines Tages findet Wikström ihn nachts schlafend im dunklen Hinterhof seines Restaurants, besorgt ihm ein Bett und einen Job. Für eine Weile bilden die beiden gemeinsam mit der Kellnerin, dem Koch und dessen Hund eine utopische Einheit, eine der für Aki Kaurismäki typischen Schicksalsgemeinschaften, die vorführt, dass die Welt besser sein könnte und sollte.
Quelle: 67. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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So beschließt Khaled, wie viele seiner Leidensgenossen illegal im Land zu bleiben, muss sich erst mühsam einen Ort suchen, an dem er sich waschen kann. Er lebt nach negativen Erfahrungen in einer spartanisch ausgestatteten Asylunterkunft mit babylonischem Sprachgewirr in den Mehrbettzimmern, auf den Fluren und in der Kantine lieber auf der Straße und sieht sich bald den unterschiedlichsten Formen von Rassismus ausgesetzt, kann sich einmal vor gewalttätigen Schlägern gerade noch in einen Bus retten. Khaled macht aber auch positive Erfahrungen. Mit einem Straßensänger etwa, dem er gleich zu Beginn eine Münze in den Hut geworfen hat, und mit coolen Rock n’ Rollern, die ihm mit aufrichtiger Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnen.
Parallel ist auch Waldemar Wikström, die zweite Hauptfigur in Kaurismäkis Film „Die andere Seite der Hoffnung“, ein Handelsvertreter für Männerhemden und Krawatten, bereit für einen Neuanfang. Weil es geschäftlich nicht mehr so gut läuft – von daheim gar nicht zu reden. In der Midlife Crisis angekommen, verlässt er seine alkoholabhängige Frau, gibt seinen Job auf. Freilich ist es nicht so einfach, seine Musterware in klingende Münze umzusetzen: der ganzen Branche geht es schlecht, die erste seiner langjährigen Kundinnen, die er anspricht, gibt selbst auf, um sich in Mexiko zur Ruhe zu setzen.
Weshalb Wikström schließlich als letztes Mittel in einem illegalen Spielcasino sein Glück versucht und inmitten distinguierter älterer Herren, die es gewohnt sind, ohne Limit zu zocken, mit einigem Geschick sein Pokerface am Glücksspieltisch einsetzt. Von dem gewonnenen Geld kauft er sich für 25.000 Euro ausgerechnet in der trübsten Gegend Helsinkis das völlig heruntergewirtschaftete Restaurant „The Golden Print“ (in der deutschen Fassung „Zum Goldenen Krug“), dem er ohne jede gastronomische Erfahrung zusammen mit dem bisherigen und über die Fähigkeiten ihres neuen Chefs entsprechend höchst skeptischen Personal zu neuem Aufschwung verhelfen will – mit den skurrilsten Ideen („Fusion-Küche“ mit Sardinen aus der Dose und Bier aus der Flasche, „Imperial Sushi“ nach Kochbuch-Rezeptur, schließlich Tanzbar mit Liveband), aber stets mit vollem Einsatz.
Die Kellnerin Mirja, der stets mit einer Kippe im Mund anzutreffende Koch Nyrhinen und der livrierte Empfangsportier Calamnius sind erst recht entgeistert, als – nach vierzig Minuten und damit knapp der Hälfte des rund 100-minütigen Films vereinen sich beide Handlungsstränge - Wikström den jungen Khaled, der über die Türkei abgeschoben werden sollte und den Kopf gerade noch aus der Schlinge ziehen konnte, nachts schlafend im dunklen, zugemüllten Innenhof seines Restaurant vorfindet und ihm erst 'mal eine Mahlzeit und dann ein Bett anbietet. Vielleicht sieht Wikström etwas von sich selbst in diesem ramponierten, angeschlagenen Jungen, jedenfalls stellt er Khaled als Putzkraft und Tellerwäscher an. Und für einen Moment zeigt sich das Leben für beide von einer sonnigeren Seite. Aber schon ziehen Wolken am Horizont auf...
„Die andere Seite der Hoffnung“, Mittelteil der mit „Le Havre“ (2011) begonnenen „Hafen-Trilogie“ Kaurismäkis, erzählt davon, dass jeder – hier mit finnischem Tango unterlegter - Melancholie ein fast rebellischer Zug der Hoffnung innewohnt. Und zeigt das Leben als Wechselspiel von ständiger Sehnsucht und schwankender Hoffnung, von fast märchenhafter Menschlichkeit und kaltem Realismus. Aki Kaurismäkis Filme sind bekannt für ihren lakonischen, skurrilen und minimalistischen Stil. Seine Helden waren immer die „kleinen Leute“: Außenseiter, Arbeiter und Arbeitslose – die Verlierer der Gesellschaft.
Seit „Le Havre“ hat der 60-jährige Kaurismäki den Kosmos seiner filmischen „Underdogs“ um eine globale Komponente erweitert - um diejenigen, die auf der Flucht sind und jetzt in der sozialen Hierarchie ganz unten stehen. Was auch mit seiner eigenen Geschichte zu tun hat: Der finnische Regisseur ist Spross einer Familie, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Sankt Petersburg nach Helsinki flüchtete. Der lakonische Stil seiner Filme aber ist zum Glück immer noch der gleiche geblieben: kraftvoll-ausdrucksstarke, immer wieder auch bizarre Bilder bei konservativer Kameraführung (Timo Salminen) auf klassischem 35mm-Material, wortkarge Protagonisten, melancholischer Blues und finnischer Tango.
Pitt Herrmann