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Noch bis 1970 war der Frauenfußball in Deutschland offiziell verboten, auch danach signalisierte der DFB kein Interesse daran, Frauenfußball zu fördern oder gar eine Nationalmannschaft zu bilden. So waren es denn auch die Spielerinnen des SSG 09 Bergisch Gladbach, die ihre Karrieren zu Teil noch als illegale "Thekenmannschaft" begonnen hatten, an die die Einladung zur Teilnahme an der ersten Frauen-Fußballweltmeisterschaft in Taiwan ging. Vor begeisterten Fans im Stadion und an den taiwanesischen Fernsehbildschirmen gelang den deutschen Frauen das unglaubliche: Ungeschlagen wurden sie Weltmeisterinnen – ganz ohne Unterstützung des DFB. Dieser sah sich infolgedessen gezwungen, eine Nationalmannschaft zu gründen. Der Dokumentarfilm zeichnet die Anfänge des Frauenfußballs in Deutschland nach und lässt seine Protagonistinnen im Rückblick in zahlreichen Interviews von der Ignoranz berichten, gegen die sie sich durchzusetzen hatten.
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Aus einer solchen illegalen Thekenmannschaft, die 1968 auf einem Aschenplatz in Köln-Dellbrück kickte, hatte sich ein Erfolgsteam gebildet und mit Sponsorenhilfe dem SSG 09 Bergisch Gladbach angeschlossen. Erst 1970 hob der DFB sein Spielverbot für Frauen auf: elf Jahre später war die SSG 09 die mit großem Abstand erfolgreichste Frauenmannschaft der Bundesrepublik. Taiwan lud die Mädchen um die Spielertrainerin und herausragende Stürmerin Anne Trabant ein, Deutschland in Taipeh zu vertreten. Und es waren wieder Sponsoren, die den langen Interkontinentalflug der zum großen Teil noch in der Ausbildung steckenden lupenreinen Amateurinnen ermöglichten.
Ohne jede Unterstützung des DFB und begleitet nur von einem Physiotherapeuten spielten sie vor hunderttausenden begeisterten Zuschauern in den WM-Stadien das live vom taiwanesischen Fernsehen übertragene Turnier ihres Lebens. Mit einem 4:0-Erfolg über die Niederlande wurde das „Team Germany“ aus Bergisch Gladbach mit 25 Toren ungeschlagener Weltmeister. Eine Sensation, die Schlagzeilen machte, welche der DFB nicht länger ignorieren konnte: 1982 wurde die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen gegründet mit der Spielführerin Anne Trabant und ihren Teamkameradinnen noch über Jahre hinaus als tragende Säulen.
Dreieinhalb Jahre hat John David Seidler gebraucht, um sein Dokfilmprojekt mit dem Arbeitstitel „Die Spielerinnen“ auf den Weg zu bringen – ohne Kinofilm-Förderung. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, Anfang der 1980er Jahre
1. Vorsitzender der SSG 09 Bergisch-Gladbach, hatte Seidler, seinerzeit Dozent der Sporthochschule Köln, auf das völlig vergessene Ereignis aufmerksam gemacht. Der Filmemacher kontaktierte die Spielerinnen und traf mit ihnen beim DFB-Pokalfinale der Frauen 2018 in Köln zusammen. Nachdem am Ende WDR und 3-Sat TV-Fördergelder zugesagt hatten, konnte sogar zehn Tage lang in Taiwan gedreht werden.
Die ehemaligen Spielerinnen, die sich nach dreißig Jahren erstmals wieder in den Armen lagen, erzählen in der am 25. Oktober 2019 bei den Int. Filmtagen Hof uraufgeführten Dokumentation „Das Wunder von Taipeh“ von den heute absurd anmutenden Bedingungen, unter denen sie für ihren großen Traum vom Fußball kämpften, gegen alle Widerstände und mit einer gehörigen Portion Humor. Begleitet von historischem Filmmaterial – Zeitzeugnisse einer ignoranten Männerwelt von Sepp Herberger bis Ernst Huberty, die heute umso anachronistischer wirken – erzählt der Film eine Fußballgeschichte, in der es um viel mehr geht als sportlichen Erfolg, nämlich um Gleichberechtigung und Anerkennung. Heute schier unfassbar: Die jungen Spielerinnen mussten sich in den Sportsendungen des Fernsehens Macho-Sprüche absolut unterhalb der Gürtellinie gefallen lassen und dazu noch gute Miene machen.
Von der Sensation in Taiwan gibt es allerdings nur wackeliges Super-8-Amateurfilmmaterial, das auf dem Dachboden des mitgereisten Physiotherapeuten entdeckt worden war: Seidler konnte auf die Archive des taiwanesischen Fernsehens aufgrund offenbar schlampiger Führung und überteuerter Geldforderungen nicht zurückgreifen. Was den Regisseur freilich noch mehr ärgert, ist die Ignoranz der koproduzierenden Sender: Sie lehnen die 83minütige Kinofassung ab und bestanden auf einer um fünf Minuten verlängerten Fernsehversion mit Off-Kommentar, die unter dem Titel „Die Weltmeisterinnen“ am 31. August 2020 auf 3-Sat erstausgestrahlt wurde. Dabei ist Voiceover unter Dokfilmern verpönt: bei ihnen zählen nur die Kraft der Bilder und die Authentizität der Originaltöne.
Im Beisein der Weltmeisterinnen Petra Landers (1981) und Annike Krahn (2007) überreichte „11 mm“-Festivalleiter Birger Schmidt am 28. Oktober 2020 im Bochumer Kino Endstation den Publikumspreis des ältesten Fußballfilmfestivals an John David Seidler. Er betonte wie zuvor bei der 17. Auflage des Festivals Mitte Oktober 2020 im Berliner Babylon, „dass jeder deutsche Fußballfan diesen Film gesehen haben sollte. Weil er erzählt - und das anhand von wunderbarem Archivmaterial und per Erinnerungen der Pionierinnen - wie lange schon Fußball auch von Frauen in diesem Land geliebt und gelebt wurde, wie er funktionierte und funktioniert - oder eben nicht.“
Nur ein kleiner Trost für den nach dem Kinostart am 27. Februar 2020 coronabedingt ausgebliebenen Kassenerfolg: „Das Wunder von Taipeh“ hat weltweit auf Festivals reüssiert, gehört nun zum Media-Bestand des Deutschen Fußballmuseums Dortmund und wird vom Goethe-Institut in zahlreiche Sprachen übersetzt, um den nachdenklich stimmenden, ja immer wieder bewegenden Film in den eigenen Häusern zeigen zu können.
Pitt Herrmann