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Die Kieler Innenstadt und ihre architektonische Gestaltung ist seit vielen Jahrzehnten Gegenstand unzähliger Kontroversen. Der Kieler Filmemacher Helmut Schulzeck widmet sich nun mit einem pointierten und streitlustigen Dokumentarfilmessay der baulichen Entwicklung der Innenstadt. Mit viel Gespür für die Probleme und Kuriositäten Kiels „erweist sich Schulzeck dabei als wacher Chronist der Stadt. Die so provokante wie stets herzerwärmende Hommage, in der auch viele Protagonisten der Stadt zu Wort kommen" (KN), gerät dabei zum Heimatfilm der widerspenstigen Art.
(Filmproduktion Helmut Schulzeck)
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Eins sei gleich vorweg gesagt: Das im Titel angedeutete Geheimnis enträtselt auch Helmut Schulzecks neuer Kiel-Film „Das Geheimnis von Kiel“ nicht. Denn die seltsame Tatsache, dass Kieler*innen, befragt nach den besonderen Charakteristika ihres Wohnorts, nach dem ausgeleierten „Leben am Wasser und im frischen Wind, wo andere Urlaub machen“ recht schnell auf die ausnehmende architektonische Hässlichkeit der Fördestadt kommen, steht am Anfang des Films wie an seinem Ende. Kein Geheimnis und schon gar kein Wunder, denn die Kontinuität der Bausünden erstreckt sich vom Wiederaufbau der Stadt, deren bewohnbarer Raum im Zweiten Weltkrieg von alliierten Bomben zu rund 44 Prozent zerstört war, bis in die Gegenwart.
Die aktuellsten Beispiele begleiteten Schulzeck und sein Kameramann Bernd Fiedler schlaglichtartig während ihrer Entstehung – als da wären: der Kleine-Kiel-Kanal (Arbeitstitel), in einer Bürger*innenbefragung euphemistisch „Holstenfleet“ getauft, die „nachverdichteten“ Klinkerbunker-Ensembles Alte Feuerwache, Schlossquartier und Bäckergang, die einfallslos (miss-) gestalteten Klötze an beiden Ufern der Hörn nebst weiteren Beispielen ganz und gar gescheiterter Städtebaukonzepte wie dem Möbel-Höffner-Gelände, wo ein frühzeitig geräumtes Kleingartenidyll jahrelang zur Brache verkam.
Reichlich Archivmaterial u.a. aus „Der Häuserfilm“ von der Filmgruppe Chaos (1984) über den Abriss des Sophienhofs und die Hausbesetzungen dagegen unterfüttert die These, die nicht nur Schulzeck teilt, nämlich dass sich die Kieler Städtebauplanung schon seit Jahrzehnten mehr an Profiten der Investor*innen als an der Schaffung von fantasievollen Wohn- und Lebensräumen orientiert.
Drei Gewährsleute, die im Film länger interviewt werden, bringen die Kette von städtebaulichen Desastern mit scharfen Worten auf den Punkt. „Kiel war unser Zuhause, aber Kiel war auch schon immer so’ne Hassliebe“, sagt Karsten Weber von der Filmgruppe Chaos, der Anfang der 1970er Jahre als Jugendlicher aus Neumünster „in die Großstadt“ kam und selbst von der neuen Heimat in Mettenhofs „Brutalo-Beton“ zunächst beeindruckt war. „Coole Stadt, aber die sieht scheiße aus. […] Die Stadtplaner haben mehr kaputt gemacht als die britischen Bomber.“ Als „späte Missgeburt des Modernismus“ beurteilt der Kulturjournalist und Architekturkritiker Hannes Hansen u.a. die Alte Feuerwache. Und dem Kunsthistoriker und Denkmalschutzaktivisten Jens Rönnau fehlt es bei Umgestaltung der so genannten „Altstadt 4.0“ „an Empathie zur gewachsenen Baustruktur und zu den Menschen, die dort dann leben oder auch arbeiten oder als Touristen Willkommen geheißen werden sollen“.
Eine selbst in der Polemik der satirischen Off-Kommentare liebevolle Empathie, die Helmut Schulzeck als Kieler seit 1976 schon in mehreren dokumentarischen Arbeiten bewiesen hat: im Frühwerk „Ich und mein Schlot“ (1983) über den Abriss der Eiche-Brauerei nahe seiner Wohnung in der Herzog-Friedrich-Straße, dann in „Ich träum’ noch immer von der Straßenbahn“ (1986) über die Einstellung der Kieler Straßenbahn, bis hin zum „Regina Blues“ (1994), einem Film zur Kieler Kinogeschichte anlässlich der Schließung des Programmkinos in der Holtenauer Straße, das bezeichnenderweise einer Bank weichen musste.
All den genannten Filmen – auch dem „Geheimnis von Kiel“ – ist etwas gemein: Sie beklagen den Verlust von etwas wie Heimat in etwas historisch Gewachsenem, damit auch den Verlust der eigenen, prägenden Geschichte(n). Sie beklagen den Verlust von Visionen und Fantasie bei der immer wieder neuen Aneignung eines – buchstäblichen oder imaginierten – Ortes, die Ausbeutung und letztlich Zerstörung von, ja …, Sehnsuchtsorten. In allen diesen Kiel-Filmen von Helmut Schulzeck schwingt die Wehmut des Endens, wo die (Neu-) Anfänge keine wirklichen sind, weil die Bausünden in Serie gehen.
Und wo Wehmut ist, da ist bei Schulzeck zur Bewältigung derselben immer auch Humor bis hin zur bitteren Satire – wie schon in seinem der Entstehung des Films vorangehenden und sie begleitenden Facebook-Blog „Kieler Bäckergang und andere Bausünden“, aus dem er vieles direkt in die in kabarettistischem Gestus gesprochenen Off-Texte übernahm. Manchmal ist das wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Wo dort das vorlaute Kind den Kaiser als eigentlich nackt entlarvt, wettert hier der Film gegen „des Kielers neue Klötze“. Und wenn dann der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer zur Auseinandersetzung um den Holstenfleet sagt: „Wenn’s ganz schlimm kommt, kann man ihn wieder zuschütten“, und zur „Klotzcity“ (Schulzeck) an der Hörn: „Das werden keine architektonischen Wunderwerke, aber allemal besser als die total banalen Bauten, die im Moment an der Hörn stehen“, dann wird aus der Satire die schönste Realsatire. Das ist vielleicht nicht das Geheimnis von Kiel, aber doch das des Films.
(Jörg Meyer)
Filmkritik zitiert mit Genehmigug des Autors aus: https://www.hansen-munk.de/2022/05/05/klotzen-gegen-des-kielers-neue-kloetze/